Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Walther-Ahrens, Lehrerin und Fußballerin, verheiratet mit einer Frau. Eine Tochter bereichert die Familie. Dass ich in diesem Zusammenhang auch böse Briefe bekommen habe, lässt sich nicht leugnen. Das hat mich aber eher angespornt. Denn ich weiß schon, wer sich deutlich zu Minderheitspositionen bekennt, muss mit der Dummheit anderer rechnen.
Aber ist der Fußball schon so weit, dass er Homosexualität ganz selbstverständlich akzeptieren kann? Das Machogehabe früherer Jahre nimmt ab, die Fußballfamilie hat sich als lernfähig erwiesen. Bei Vereinen wie Borussia Dortmund, dem V f B Stuttgart, dem FC St. Pauli oder Mainz 05 gibt es homosexuelle Fanklubs, die Mainzer haben das fünfjährige Bestehen ihres schwul-lesbischen Fanklubs »Die Meenzelmänner« im April 2012 mit einer beeindruckenden Choreografie über die gesamte Fantribüne gefeiert. Die Stehplatzbesucher hielten farbige Karten hoch, die eine riesengroße Regenbogenfahne bildeten, dazu entfalteten sie ein Transparent mit der Aufschrift »5 Jahre Meenzelmänner – Fans gegen Homophobie«.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es eine ähnliche Aktion anderswo in Europa schon einmal gegeben hat. Für mich ist das ein Zeichen, dass viele deutsche Fußballfans unsere Wertvorstellungen von Toleranz teilen und akzeptieren. Nach meinen Beobachtungen kommt es in deutschen Stadien immer seltener vor, dass Spieler, mit denen man unzufrieden ist, als »Schwuchtel« oder »schwule Sau« beschimpft werden. Ganz ausrotten kann man solche Entgleisungen aber wahrscheinlich nicht.
Auf dem Platz sieht das etwas anders aus. Noch hat sich kein namhafter Profi als homosexuell geoutet, obwohl es viele Gerüchte gibt. Ich kenne Journalisten, die immer mal wieder verschwörerisch raunen, der eine oder andere sei ihnen bekannt, natürlich ganz vertraulich. Aber Namen haben sie bisher nicht genannt. Ich glaube, ein schwuler Fußballprofi hätte heutzutage in den deutschen Stadien nichts Dramatisches zu befürchten. Wahrscheinlich würden ihn die meisten Fans eher feiern für seinen Mut und seine Extravaganz, als ihn auszupfeifen oder zu beschimpfen. Aus einem Gespräch mit Corny Littmann, dem Expräsidenten des FC St. Pauli, habe ich gelernt, dass die Probleme wohl eher im Innenleben einer Mannschaft liegen.
Man stelle sich vor: ein toleranter und weltoffener Trainer, ein schwuler Spieler und dazu der eine oder andere Akteur beispielsweise aus Osteuropa oder Afrika, wo, wie wir wissen, Homosexualität gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und Schwule teilweise geächtet und verfolgt werden. Ich kann mir ausmalen, dass dieser Trainer, wenn er Wert legt auf ein konfliktfreies Mannschaftsgefüge, dann eben doch auf den schwulen Spieler verzichtet, um Ärger zu vermeiden und den Erfolg nicht zu gefährden. Auch diese Ängste muss man verstehen.
So bedauerlich das ist, scheint mir diese Überlegung das letzte Hindernis auf dem Weg zu einem vorurteilsfreien Umgang mit schwulen Fußballern zu sein. Andererseits glaube ich, dass es gar nicht so viele homosexuelle Bundesligaspieler gibt, wie manche vermuten. Der Weg in den Profifußball ist hart und steinig und erfordert so viel Willenskraft und Konzentration, dass es für einen jungen Spieler, der sich jahrelang verstellen muss, fast unmöglich ist, so weit zu kommen.
Wer zur Elite gehört, kann nicht Versteck spielen, das passt nicht zusammen. Deshalb glaube ich nicht, dass der Anteil der schwulen Profis statistisch dem in der Gesamtbevölkerung entspricht. Zu diesem Schluss kommt auch die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die seit Jahren zum Thema Homophobie im Fußball forscht: »Vermutlich sind es prozentual gesehen weniger als in der Gesamtbevölkerung, weil viele ihre Karriere irgendwann abbrechen, weil sie den doppelten Druck nicht aushalten. Sie müssen sich ja nicht nur in einer Hochleistungssportart bewähren, sondern auch noch ihre sexuelle Neigung verschleiern. Das ist fast nicht auszuhalten.« Vielleicht wird dieser Weg leichter, wenn sich mal die ersten schwulen Profis outen und das Tabu gebrochen wird.
In den unteren Fußballklassen sieht es etwas anders aus. Ich erinnere mich an den Brief eines jungen Amateurspielers, der nach seinem Outing feststellte, dass die Mannschaftskollegen mit seiner Homosexualität keine Probleme hatten, wohl aber seine Eltern. Mir sind auch sonst keine Beispiele bekannt, dass Homosexualität im Amateurfußball Anstoß erregt. Im Frauenfußball ist die gleichgeschlechtliche
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