Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Die Stiftung befasst sich mit der Volkskrankheit Depression, hilft bei der Forschung und mit Projekten, aber sie kann kein Ersatz sein für die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, in die wir alle eingebettet sind. Man kann vom Fußball keine Wunder erwarten. Er kann mit seiner starken sozialen und medialen Kraft auch nur einen kleinen Beitrag leisten. Aber das wenige, was er leisten kann, sollte er tun.
Eine Woche nach dem Tod von Robert Enke trat unsere Nationalmannschaft wieder an. Auf Seite eins des Stadionhefts erschien zum Länderspiel gegen die Elfenbeinküste ein Abschiedsbrief, den die Mannschaft an ihren Torwart geschrieben hatte und der von allen Spielern unterzeichnet war:
»Wir haben lange zusammengesessen und an Dich gedacht. Wir haben zusammen geschwiegen, zusammen geweint und zusammen nach Antworten gesucht, aber eigentlich immer nur neue Fragen gefunden. Quälende Fragen nach dem Warum. Warum konnten wir Dir nicht helfen? Warum konntest und wolltest Du uns nicht von Deinen Problemen erzählen? Warum ist es in unserem Leistungssport, in unserer Leistungsgesellschaft nicht möglich, Angst und Krankheit auszusprechen?
Es ist für uns alle ein schmerzhafter Gedanke, dass Du Dich einsam und allein gefühlt haben musst, auch wenn Du mit uns zusammen warst. Dass Du so oft das Gefühl gehabt haben musst, viel mehr verlieren zu können als nur ein Fußballspiel. Dass für Dich so viel mehr auf dem Spiel stand als für jeden anderen von uns. Dein Tod ist so trostlos. Aber wir werden alles dafür tun, in Deinem Sinn weiterzumachen, guten Fußball zu spielen, erfolgreich zu sein. Und uns dafür einzusetzen, dass Vorurteile und Stigmatisierungen im Fußball keinen Platz haben.
Du wirst uns fehlen. Auf dem Weg ins Stadion, in der Kabine, im Strafraum.
Du wirst uns fehlen, weil Du ein außergewöhnlicher Torhüter warst. Aber noch viel mehr, weil Du ein bemerkenswerter Mensch warst.«
Seit dem Tod von Robert Enke haben mehrere Profifußballer sich zu Krankheiten wie Burn-out oder Depression bekannt. Manche haben deswegen ihre Karriere im Leistungssport beendet, andere haben zurück in die Spur gefunden. Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass sie in der Öffentlichkeit mit viel Respekt behandelt wurden. Vielleicht wird man eines Tages das Vermächtnis von Robert Enke so beschreiben, dass sein Schicksal den Profifußball doch ein Stück menschlicher gemacht hat.
Nach der EM-Finalniederlage 2008: mit Joachim Löw, Andreas Köpke, Oliver Bierhoff und Hans-Dieter Flick (©IMAGO).
18.
»Ein unglaublicher Demagoge«:
Gegenwind nach der EURO 2008 ↵
Meine Präsidentschaft im größten Sportfachverband der Welt schien eine Erfolgsstory zu werden. Wir hatten schwierige Konflikte gelöst und die Nationalmannschaft auf einen guten Weg gebracht.
Auch die EURO 2008 in Österreich und der Schweiz wurde ein großer Erfolg. Ich war zum ersten Mal Delegationsleiter der Nationalmannschaft bei einem großen Turnier. Die Mannschaft hatte nach der erfolgreichen WM und den souveränen Auftritten in der EM -Qualifikation gute sportliche Perspektiven. Nun wollte sie den Gipfel erklimmen und wir alle waren davon überzeugt, dass die Mannschaft das Endspiel erreichen konnte. Das Mannschaftsquartier wurde in der Fünf-Sterne-Herberge »Giardino« in Ascona am Lago Maggiore aufgeschlagen und provozierte mit seiner großzügigen Ausstattung den einen oder anderen kritischen Medienbericht über den Luxus, der den deutschen Nationalspielern vergönnt ist. Ich habe mich davon nicht beirren lassen, sondern Oliver Bierhoff unterstützt, weil ich überzeugt bin, dass eine solche Elitetruppe, die wochenlang für ein gemeinsames Ziel arbeitet, die entsprechende Infrastruktur braucht, um sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren zu können.
Für unsere Gäste und die Beobachtergruppe des DFB hatten wir mit dem Hotel »Werzer« in Kärnten am Wörthersee ein angemessenes Quartier, zu dem es mich persönlich wesentlich mehr hinzog als an den Lago Maggiore. Ich bin meiner Linie treu geblieben, auf der einen Seite der Mannschaft und den Trainern den notwendigen Freiraum zu geben, andererseits mich auch um die repräsentativen Auftritte in den Gastgeberländern zu kümmern. Das fiel mir in Kärnten besonders leicht, weil der wenige Kilometer entfernte Faaker See für unsere Familie viele Jahre lang das Urlaubsdomizil war.
In Kärnten musste ich mich auch auf politische Gratwanderungen begeben. Der im Oktober 2008 tödlich
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