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Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theo Zwanziger
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beteiligt waren: die Lokomotivführer, die Rettungskräfte, die Polizei. Und dann am Abend die Trauerfeier hier in Hannover. Die Spontaneität der Menschen in dieser Stadt, der Fans von Hannover 96, der Fans von Robert Enke. Danke an Euch!
    Diese Bilder verändern sich. Sie werden mal stärker und verblassen. Die Zeit wird vergehen. Das Leben wird wieder seinen Anfang nehmen.
    Aber ich erinnere mich auch an zwei Sätze, gesprochen von Bischöfen der Evangelischen Kirche. Der eine, am Mittwochabend von Bischöfin Käßmann: ›Fußball ist nicht alles.‹ Fußball, meine Damen und Herren, liebe Trauergemeinde, darf nicht alles sein. Das Leben, das uns geschenkt ist, ist vielfältig. Es ist interessant. Es ist lebenswert. Wir können auch auf das, was wir tun, ein Stück stolz sein. Wir können etwas leisten. Aber wir erfüllen uns immer nur in der Vielfalt und in der Gemeinschaft.
    Fußball darf nicht alles sein, liebe Eltern, wenn Ihr daran denkt, ob Eure Kinder einmal Nationalspieler werden könnten. Denkt nicht nur an den Schein, an das, was sich dort zeigt, über die Medien verbreitet. Denkt auch an das, was im Menschen ist, an Zweifeln und an Schwächen. Fußball ist nicht alles.
    Auf der Trauerfeier für Robert Enke im Stadion von Hannover (©IMAGO).
    Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch den anderen Satz. Als vor dreieinhalb Jahren die Weltmeisterschaft mit einem Gottesdienst in München begann und die Sonne genauso wie hier den Nebel und den Regen verdrängte, sprach Bischof Huber: ›Fußball ist ein starkes Stück Leben.‹ Ja, Fußball kann ein starkes Stück Leben sein. Wenn wir nicht nur wie Besessene hinter Höchstleistungen herjagen. Wir dürfen uns anstrengen, ja, aber nicht um jeden Preis. Denn, so formulierte er damals, den wirklichen Siegerpreis werden wir auf Erden nicht empfangen. Wir müssen uns dieses Preises würdig erweisen.
    Nach diesen schlimmen Tagen ein wenig mehr an die Würde des Menschen zu denken, in seiner Vielfalt, nicht nur in seiner Stärke, sondern auch in seiner Schwäche, das empfinde ich als Auftrag dieses an sich sinnlosen Sterbens. Wir alle sind dazu aufgerufen, liebe Trauergemeinde, unser Leben wieder zu gestalten, aber einen Sinn nicht nur in überbordendem Ehrgeiz zu finden. Maß, Balance, Werte wie Fair Play und Respekt sind gefragt. In allen Bereichen des Systems Fußball. Bei den Funktionären, beim DFB , bei den Verbänden, den Klubs, bei mir, aber auch bei Euch, liebe Fans. Ihr könnt unglaublich viel dazu tun, wenn Ihr bereit seid, aufzustehen gegen Böses, wenn Ihr bereit seid, Euch zu zeigen, wenn Unrecht geschieht, wenn Ihr bereit seid, das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger zu brechen. Ihr könnt mithelfen, mit Eurem ganz persönlichen Engagement.
    Ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des anderen, das wird Robert Enke gerecht.«
    Meine Worte wurden überwiegend positiv kommentiert. Ich bekam unzählige Briefe und E-Mails von Menschen, die ihre eigene Geschichte erzählen, die ihre Hilfe anbieten oder die einfach nur ihre Betroffenheit und Trauer ausdrücken wollten. Ich habe mich bemüht, all diese Briefe zu beantworten.
    Nur wenige Wochen später allerdings stellten die ersten Journalisten tatsächlich die Frage, was meine Rede bei Robert Enkes Trauerfeier bewirkt habe, ob der Fußball denn nun menschlicher geworden sei und der Umgang mit Tabuthemen wie Krankheit und Depression offener. Das hat mich sehr geärgert. Ich bin weder Papst noch Bundespräsident, sondern ein Mensch wie du und ich. Ich habe aus meinen Gefühlen heraus etwas zum Ausdruck bringen wollen, was viele verstanden haben.
    Aber dass nicht jeder von diesem Tag an nach diesen Grundsätzen und Wertvorstellungen lebt, ist doch auch klar. Es ist maßlos und unsinnig, von einer solchen Rede zu erwarten, dass sich die Welt von heute auf morgen ändert. Auch Journalisten tragen dazu bei, ob die Welt ein Stück menschlicher wird oder ob sie sich im Gegeneinander aufreibt.
    Wie bei allem, was mir begegnete, suche ich auch im schrecklichen und scheinbar sinnlosen Tod von Robert Enke nach einer kleinen Antwort für den Fußball. Wie kann das Gedenken an diesen großartigen Sportler aufrechterhalten werden? Wie können wir im Rahmen unserer Möglichkeiten helfen?
    So wurde die Robert-Enke-Stiftung gegründet, an der sich Reinhard Rauball für den Ligaverband und Martin Kind für Hannover 96 beteiligten.

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