Die Zwanziger Jahre (German Edition)
verunglückte Jörg Haider war als Rechtspopulist bekannt, seine fremdenfeindlichen Parolen hatten ihn in der politischen Landschaft Europas weitgehend isoliert. Er versuchte, diese EM für sich und seine Gesinnung zu instrumentalisieren. Gänzlich konnten Reinhard Rauball und ich uns seinen Einladungen zu Empfängen nicht entziehen. Doch auf Rauball war Verlass. »Theo«, sagte er, »es darf kein gemeinsames Bild von ihm und uns erscheinen.« Das wird uns nicht ganz geglückt sein, gleichwohl, den Teppich haben wir ihm nicht ausgerollt.
Unsere Mannschaft hat mit dem 2:0 gegen Polen gut begonnen, wie so oft im zweiten Spiel Defizite gezeigt und gegen Kroatien 1:2 verloren. Dann ging es gegen Österreich im letzten Vorrundenspiel wieder einmal um alles. Michael Ballack erlöste uns mit seinem tollen Freistoßtor, das Zittern hatte ein Ende. Nicht auszudenken, wenn wir gegen Österreich verloren hätten. An Bundestrainer Joachim Löw hätten wir aber auch festgehalten, wenn es schiefgegangen wäre. Das hatten wir bereits vorher klargestellt.
Es ging wechselhaft weiter, nach dem überzeugenden Auftritt beim 3:2 gegen Portugal, der uns ins Halbfinale brachte, taten wir uns gegen die türkische Nationalmannschaft, die auf einige gute Spieler verzichten musste, doch sehr schwer. Erst in letzter Minute gelang Philipp Lahm der 3:2-Siegtreffer – das Ziel Finale war erreicht.
Doch das Endspiel verlief enttäuschend, gegen Spanien gab es eine 0:1-Niederlage, und man hatte nie den Eindruck, dass unsere Mannschaft dieses Spiel gewinnen konnte. Danach war der Frust im Team deutlich zu spüren; die Spieler hatten schon geglaubt, die Spanier besiegen zu können. Die kleine Abschlussfeier verlief deshalb auch eher leise. Es zeigte sich, dass die Harmonie in der Mannschaft zwischen den sogenannten Führungsspielern wie Michael Ballack und Torsten Frings und den jungen Nachdrängenden nicht intakt war. Teambildung ist eben nicht so einfach und lässt sich nicht herbeireden. Insgesamt aber war diese EM erfolgreich.
Doch in diesen Monaten verspürte ich zum ersten Mal Gegenwind. Das hatte begonnen, als ich Ideen entwickelte, wie der Fußball auf die demografische Entwicklung reagieren sollte. Ich regte an, in bestimmten Konstellationen mit Neuner- statt Elfermannschaften zu spielen. Der Bevölkerungsrückgang macht es vielen kleinen Vereinen, gerade in ländlichen Bereichen, immer schwerer, komplette Mannschaften aufzustellen, um am Spielbetrieb teilzunehmen. Wenn elf Spieler auf dem Feld stehen sollen, braucht eine Mannschaft mindestens fünfzehn, eher achtzehn brauchbare Spieler, um eine komplette Saison vernünftig durchspielen zu können.
Warum soll man dann nicht in den untersten Klassen, wo der Fußball keine Frage von Leben und Tod ist, sondern Spaß an der Freude, mit kleineren Teams spielen? Sogar unterschiedliche Mannschaftsstärken in einer Spielklasse sind denkbar. Dann tritt eine Elfer-Mannschaft gegen eine Neuner-Mannschaft eben nur mit neun Spielern an.
Diese Überlegungen erscheinen mir vernünftig und logisch. Doch sie führten zu einem Aufschrei der Traditionsvereine. Fußball ist elf gegen elf, widersprachen sie, alles andere sei Verrat an unserer Sportart. Dabei ist Fußball längst nicht mehr nur elf gegen elf. Bei der Jugend gibt es inzwischen alle möglichen Spielformen, die Kleinsten spielen in Siebenerteams, größere Jugendliche zu neunt – nur bei den Männern war das für viele undenkbar. Schließlich heiße es doch: Elf Freunde müsst ihr sein, kommentierten die Medien. Man solidarisiert sich schnell im Unsinn. Nur wenige machen sich ernsthaft Gedanken darüber, wie wir mit der demografischen Herausforderung umgehen sollen. Alle Welt fordert Reformen, aber wenn sie einer angeht, bekommt er sofort Gegenwind. Manchmal denke ich heute, die Leute reden über Zukunft, wollen aber nur an der Gegenwart festhalten.
Immerhin gibt es inzwischen in Deutschland einige Verbände, nicht zuletzt meinen Heimatverband im Rheinland, die in den untersten Klassen diese Lösung anbieten. Es werden mehr werden, denn der Bevölkerungsrückgang wird den Fußball nicht verschonen. Strukturen und Denkweisen sind im Fußball häufig eher konservativ, und Visionen, wie man mit unabänderlichen Entwicklungen umgehen kann, stoßen da nicht immer auf Begeisterung. Manche Reaktionen haben mich trotzdem schockiert, weil sie so heftig waren.
Gegenwind verspürte ich auch in der Diskussion um die Sonntagsspiele der Bundesliga. Der
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