Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Gesellschaft leistet. Auch wenn manche meinen, ich hätte zu früh aufgehört: Ich persönlich bin zufrieden damit, dass ich diese Strukturen aufbauen und das Bewusstsein bilden konnte. Jetzt liegt es an anderen, wie dies weitergeführt wird. Es wäre beispielsweise wichtig, mit dem jüdischen Sportverband Makkabi Deutschland noch enger zusammenzuarbeiten, als dauernde Mahnung aus dem Inneren des Verbandes, nie zu vergessen, was in Nazideutschland geschehen ist.
Ich weiß, dass diese gesellschaftlichen Zusammenhänge den meisten Fußballern wenig bewusst sind und dass ich mit dieser klaren Positionierung eher in der Minderheit bin. Selbst der Einsatz für soziale Themen ist für manche nur eine Alibiveranstaltung vor dem Hintergrund, dass der Verband viel Geld einnimmt und denkt, deshalb müsse er halt auch etwas Soziales machen. Es fehlt oft an der inneren Einstellung und Verbindung zu Menschen, die in sehr bescheidenen Verhältnissen leben. Auch Hartz- IV -Empfänger, Behinderte und andere Gruppen der Gesellschaft schauen Fußball, sonst wären die Einschaltquoten nicht so hoch. Da halte ich es für eine Pflicht und Kernaufgabe des Verbands, auch diesen Menschen etwas zurückzugeben und nicht nur die Reichen immer reicher zu machen.
In meinem Engagement hat mich übrigens eine Politikerin und gute Freundin sehr unterstützt – Claudia Roth, eine außergewöhnliche Frau mit einem großen Herzen und viel Sachverstand und Hartnäckigkeit, eine Gerechtigkeitsfanatikerin, die versucht zu helfen, wo sie kann. Dabei überfordert sie sich manchmal selbst. Sie hat mir die politischen Vorstellungen der Grünen nähergebracht, den Einsatz für Minderheiten und den Kampf gegen Diskriminierung.
Dieses klare Profil, das die großen Volksparteien so nicht immer zeigen können, erklärt heute auch den Erfolg der Grünen. Ich habe mich gefreut, zweimal auf den Parteitagen der Grünen sprechen zu können, wie auch bei der SPD , obwohl ich doch nun schon seit weit über vierzig Jahren Mitglied der CDU bin. Das sind besondere Erlebnisse für mich, wenn ich erfahre, dass auch Menschen in anderen politischen Lagern meine gesellschaftliche Arbeit beim Fußball schätzen. Ich habe oft gesagt – und es nur halb scherzhaft gemeint – , dass ich mich riesig freuen würde über eine schwarz-grüne Koalition in Berlin mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Claudia Roth als Außenministerin. Vielleicht erfüllen sich solche Wünsche ja schneller, als man denkt.
17.
»Was können wir tun?«: Der Tod von Robert Enke ↵
Der 10. November 2009 war ein trauriger Tag, der viele Menschen in Deutschland aufgewühlt hat. Der Freitod von Nationaltorhüter Robert Enke versetzte nicht nur Fußballer, Fans und Funktionäre, sondern die ganze Gesellschaft tagelang in eine Art Schockstarre. Warum hatte ein erfolgreicher und allseits beliebter Profi seinem Leben auf so schreckliche Weise ein Ende gesetzt? Robert Enke, zweiunddreißig Jahre jung, hatte immer alles gegeben für seinen geliebten Sport. Hatte sein Freitod damit zu tun, dass er nicht nominiert worden war für das Länderspiel gegen Chile? Er hatte mit großartigen Paraden wesentlich zu unserem guten Abschneiden in der WM -Qualifikation beigetragen, war aber im Kampf um die Nummer eins im Vergleich mit René Adler, Tim Wiese und Manuel Neuer zuletzt etwas zurückgefallen, weil er wegen einer angeblichen Viruserkrankung länger pausiert hatte und erst am Wochenende vor seinem Suizid wieder bei seinem Verein Hannover 96 ins Tor zurückgekehrt war. Erst später stellte sich heraus, dass schon an dieser Zwangspause seine Depression schuld war.
Robert Enke depressiv? Selbst viele seiner engsten Wegbegleiter in Verein und Nationalmannschaft hatten nichts davon mitbekommen, mit welchen Dämonen sich dieser sympathische und hochtalentierte Sportler herumschlug. Wolfgang Niersbach und ich fuhren zur Nationalmannschaft nach Düsseldorf, die sich auf das für den Samstag geplante Freundschafts-Länderspiel gegen Chile vorbereitete. Ich habe die Nationalspieler und ihren Bundestrainer noch nie so ratlos erlebt wie in jenen Stunden. Schnell waren wir uns alle einig, dass wir das Länderspiel absagen mussten.
Zum Glück zeigten die Chilenen Verständnis für unseren Wunsch. Weder das Trainerteam noch die Mannschaft hätten sich unter diesen Umständen auf so etwas Profanes wie ein Testspiel konzentrieren können. Wir mussten ihnen und uns ein paar Tage gewähren, um mit den Ereignissen
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