Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Sonntag gehört den Amateuren, lautete ein Glaubenssatz im DFB , der über Jahrzehnte Bestand hatte. Bis 1996 war der Sonntagstermin tabu für die Profis, dann wurde dieses Dogma im Paragraf 10 des Grundlagenvertrags zwischen dem DFB und der Liga aufgeweicht. Dort hieß es: »Der Ligaverband verpflichtet sich zum Schutz des Amateurfußballs, sonntags bis 17.30 Uhr möglichst keine Spiele der Bundesliga anzusetzen.«
Mit dem ab 2009 gültigen Fernsehvertrag, der bis 2013 in Kraft ist, fiel auch dieses Tabu. Seit der Saison 2009/2010 findet sonntags in der Regel schon um 15.30 Uhr ein Sonntagsspiel statt. Wir mussten diese Vereinbarung mit der Liga treffen, um deren Fernseheinnahmen zu sichern, von denen auch die Amateurbasis profitiert. Zunächst war der Aufschrei im Lager der Amateure groß. Doch bald zeigte sich, dass es nur wenige waren, die sich wirklich gegen die neue Anstoßzeit engagierten, die aber auf breite und wohlwollende Berichterstattung in vielen Zeitungen rechnen durften. Die These »Der DFB kümmert sich nur um die Profis und lässt seine kleinen Vereine im Stich« erschien vielen Journalisten reizvoll, doch das gewaltige Medienecho war in keiner Weise durch den Umfang der Proteste gerechtfertigt, wie sich erweisen sollte.
Vor allem im Ruhrgebiet kam der Protest gut organisiert daher. Als die Kreisklassenvereine rund um Gelsenkirchen mit einem Streik drohten, setzte der Verband kurzerhand den ersten Rückrundenspieltag im Frühjahr 2009 ab. Auch in Hessen und Hamburg gab es einige Vereine, die sich lautstark gegen die neuen Anstoßzeiten aussprachen. Wenige Wochen später hatten die Protestler zum DFB -Bundestag in Düsseldorf, auf dem der neue Grundlagenvertrag mit den Sonntagsterminen beschlossen wurde, eine große Demonstration angekündigt. Am Ende standen genau zwanzig Demonstranten vor der Halle. Ich habe mich ausführlich mit diesen Leuten unterhalten und versucht, ihnen unsere Position zu erklären.
Der alte Fetisch stimmt nicht mehr. Der Sonntag gehört schon längst nicht mehr dem Amateurfußball. In den meisten unteren Spielklassen gehen die Zuschauerzahlen seit vielen Jahren zurück, das war schon so, als die Bundesliga noch nicht an Sonntagsspiele dachte. Viele Leute planen sonntags andere Aktivitäten mit der Familie, das Abschneiden des örtlichen Kreisligaklubs zieht keine Massen mehr an.
Das liegt bestimmt auch daran, dass kaum noch Fußballer aus dem eigenen Ort in der Mannschaft spielen. Selbst in den untersten Klassen werden Spieler mit Versprechungen angelockt und recht anständig bezahlt. Der Amateurfußball muss realistisch sein. Wenn manche Vereine regelmäßig mehr Geld ausgeben, als sie sich leisten können, dürfen sie nicht erwarten, dass ihnen von dritter Seite die Bilanzen ausgeglichen werden. Es hat sich gezeigt, dass sich die Befürchtungen, die von einigen Vereinen artikuliert worden sind, nicht erfüllt haben. Die Sonntagsspiele der Bundesliga haben dem Amateurfußball nur in dem Maße geschadet, wie sich Amateurfußballer selbst schaden können.
Manche unserer »Landesfürsten« haben in diesen Auseinandersetzungen eine zweifelhafte Rolle gespielt. Das Ansehen des DFB bei den Vereinen ist so gut oder so schlecht, wie es von den Landesverbänden gegenüber der Basis dargestellt wird. Das viele Geld, das der DFB in die Landesverbände gegeben hat, ist nicht immer so bei den Vereinen angekommen, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber darüber haben die Landesverbände nun mal in eigener Verantwortung zu entscheiden. Letztlich haben wir diesen Ärger mit der Basis durch intensive Gespräche und gute Überzeugungsarbeit, beispielsweise bei aufwendigen Kreiskonferenzen, ausräumen können.
Der Amateurfußball braucht die Aufmerksamkeit auch der Spitzenvertreter des DFB . Oliver Bierhoff war hier für mich immer ein guter Ansprechpartner. Gefreut hat es mich deshalb, als ich im »Kicker« vom 23. April 2012 lesen durfte, wie er seinem Neffen beim D-Jugendspiel von Viktoria Frechen zugeschaut hatte. Wolfgang Niersbach saß zur gleichen Zeit zehn Kilometer entfernt auf der Tribüne des Kölner Stadions und sah das Erstligaspiel des 1. FC . Doch auch der DFB -Präsident wird die Besuche bei den Amateuren schätzen lernen, wenn er dort einer von hundert Zuschauern ist und nicht einer unter fünfzigtausend.
Der Demagogen-Streit
Ein gefundenes Fressen für die Zwanziger-kritischen Journalisten war der sogenannte Demagogen-Streit, den ich mit dem Journalisten Jens
Weitere Kostenlose Bücher