Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Wohlwollen von meiner Seite.«
    »Das sagte ich doch bereits: Sie sind von unglaublicher Dreistigkeit.«
    »Da bin ich ganz Ihrer Meinung!«
    Als sie das Amtsgebäude verließen, grüßte Daldry den diensthabenden Beamten und ließ Alice in den Austin einsteigen.
    »Ich fahre Sie nach Hause und dann weiter zum Reisebüro.«
    Der Austin glitt zügig durch die Straßen der Hauptstadt.
    »Heute Abend«, sagte sie, »treffe ich meine Freunde im Pub am Ende unserer Straße. Wenn Sie Lust haben, sich zu uns zu gesellen …«
    »Ich ziehe es vor, Ihnen meine Anwesenheit zu ersparen«, erwiderte Daldry. »In Istanbul bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sie ständig zu ertragen.«
    Nachdem Alice nicht weiter insistierte, setzte Daldry sie zu Hause ab.
    Es wollte nicht Abend werden. Wie sehr Alice sich auch an ihrem Arbeitstisch bemühte, sie brachte nicht die geringste Formel zu Papier. Sie tauchte einen Papierstreifen in einen Flakon mit Rosenessenz, und ihre Gedanken schweiften hin zu den orientalischen Gärten, die sie sich betörend schön vorstellte. Plötzlich vernahm sie die Klänge eines Klaviers. Sie hätte schwören können, dass sie aus der Wohnung ihres Nachbarn kamen. Sie wollte sich Gewissheit verschaffen, durchquerte auf Zehenspitzen ihr Zimmer, doch als sie die Tür zum Flur öffnete, brach die Melodie ab, und das viktorianische Haus versank wieder in absolute Stille.
    Als Alice die Tür zum Pub öffnete, waren ihre Freunde bereits versammelt und in eine lebhafte Diskussion vertieft. Anton sah sie eintreten. Sie brachte ein wenig Ordnung in ihr widerspenstiges Haar und kam an ihren Tisch. Eddy und Sam schenkten ihr kaum Beachtung. Anton erhob sich, bot ihr einen Stuhl an und nahm erneut an dem Gespräch teil.
    Carol musterte Alice und beugte sich vor, um sie leise zu fragen, was mit ihr los sei.
    »Was meinst du?«, gab Alice ebenso leise zurück.
    »Dich«, erwiderte Carol, während die Jungen weiter erregt über die Pläne von Premierminister Clement Attlee debattierten.
    Eddy wünschte sich Winston Churchill zurück an die Regierungsspitze, während Sam, leidenschaftlicher Anhänger Attlees, das Verschwinden der Mittelschicht voraussagte, sollte der »Kriegspremier« die nächsten Wahlen gewinnen. Alice wollte ihre Meinung dazu kundtun, fühlte sich jedoch genötigt, ihrer Freundin zu antworten.
    »Mit mir ist gar nichts los.«
    »Lügnerin! Irgendwas hat sich bei dir geändert, das sehe ich dir an der Nasenspitze an.«
    »Du redest nur Blödsinn!«, protestierte Alice.
    »Ich habe dich lange nicht so strahlend gesehen. Hast du jemanden kennengelernt?«
    Alice brach in schallendes Gelächter aus, was die Jungen stutzig machte und zum Schweigen brachte.
    »Stimmt«, meinte jetzt auch Anton. »Irgendetwas an dir ist anders als sonst.«
    »Sagt mal, spinnt ihr jetzt alle? Bestellt mir lieber ein Bier, statt dummes Zeug zu reden. Ich sterbe vor Durst.«
    Anton trat an die Bar und forderte seine beiden Freunde auf, ihm zu folgen. Fünf Gläser mussten gefüllt werden, und er hatte nur zwei Hände.
    Jetzt allein mit Alice, setzte Carol ihr Verhör fort. »Was ist los? Mir kannst du es doch sagen.«
    »Ich habe niemanden kennengelernt. Aber wenn du es genau wissen willst, könnte das bald passieren.«
    »Du weißt im Voraus, dass du bald jemanden kennenlernen wirst. Bist du hellseherisch geworden?«
    »Nein, aber ich habe beschlossen, derjenigen zu glauben, der ich zugehört habe, weil ihr mich quasi dazu gezwungen habt.«
    Carol, die ganz aus dem Häuschen geriet, ergriff Alices Hände. »Du machst diese Reise, ist es das?«
    Alice nickte und deutete mit dem Blick auf die drei Jungen, die mit den Gläsern auf sie zusteuerten. Carol sprang auf und befahl ihnen, zur Bar zurückzukehren. Sie würde ihnen Bescheid geben, wenn ihr Gespräch unter Mädels beendet sei. Die drei sahen sie verdutzt an, zuckten die Achseln und kehrten um, nachdem man sie vertrieben hatte.
    »Wann?«, fragte Carol, die noch aufgeregter war als ihre beste Freundin.
    »Ich weiß noch nicht genau, aber in ein paar Wochen.«
    »So bald schon?«
    »Wir warten noch auf unsere Pässe. Wir haben heute Nachmittag neue beantragt.«
    »Wir? Du brichst in Begleitung auf?«
    Alice errötete leicht und erzählte Carol von der Abmachung, die sie mit ihrem Flurnachbarn getroffen hatte.
    »Bist du sicher, dass er das nicht nur tut, um dich zu verführen?«
    »Daldry? Großer Gott, nein! Ich habe ihm übrigens dieselbe Frage gestellt,