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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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einzig plausible Erklärung, nicht nur für das, was ich getan hatte, sondern auch für die ruhige Gelassenheit, die ich trotz allem in mir spürte. Eine Gelassenheit, die ich empfand, wenn ich dem Conte in die Augen sah. Das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.
    Als ich mich hinsetzte, schenkte mir Irene ihr typisches verständnisvolles Lächeln. »Hast du verschlafen? Ein Bier zu viel gestern Abend?«
    Auch ich lächelte, aber unbestimmt. »Wahrscheinlich.«
    Ich starrte von hinten auf Angela und ihr Gefolge, die das gemeinsame Zuspätkommen von Alex und mir beobachtet hatten und sich jetzt gegenseitig etwas zuflüsterten. Während der Ansprache unseres Lehrers hatten sie geschwiegen – wie im Übrigen die ganze Klasse –, aber keine der drei hatte zufrieden oder spöttisch gegrinst, wie ich das eigentlich erwartet hätte. Was tuschelten die da jetzt? Könnte ich doch nur …
    Ich hob den Kopf. Aber ich konnte doch. Wieso war mir das nicht eher eingefallen?!
    Ich atmete zweimal tief durch, schloss die Augen und rief den Wolf. Er kam innerhalb eines Augenblicks, schneller, als er es je zuvor getan hatte, so einfach, als hätte ich mir nur die Jacke an- oder ausgezogen: Es überlief mich unwillkürlich heiß und kalt, und ich musste mich ganz steif auf meinen Stuhl setzen, damit es niemand merkte. Ich spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf meinem Körper aufstellte, sogar die unsichtbaren an den Fingerspitzen. Wie aus weiter Ferne klangen mir die Worte des Conte im Ohr: Wenn der Mond wieder zunimmt, wird auch deine Kraft noch mehr zunehmen .
    Meinte er damit das, was ich jetzt fühlte?
    Ich hielt die Augen geschlossen, aus Angst vor dem, was ich sehen würde, und ich tat mein Bestes, um auch die tausend Gerüche zu ignorieren, die mir in die Nase stiegen. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Geräusche. Was mir einen Moment vorher noch als Stille erschienen war, lediglich unterbrochen von der monotonen Lehrerstimme, hatte sich schlagartig in ein dichtes Stimmengewirr verwandelt: Ich hörte das leichte Trommeln von Füßen auf dem Boden, das Geraschel von Seiten, die umgeblättert wurden, das Zischen von unzähligen Atemzügen und das Gemurmel derer, die mit ihren Banknachbarn flüsterten. Fast sofort konnte ich darunter auch Elenas Stimme ausmachen.
    »… zusammen reingekommen«, sagte sie gerade. »Er hat auf sie gewartet.« Sie schwieg einen Augenblick, und ich stellte mir vor, dass sie in Alex’ Richtung schaute. »Er lächelt.«
    »Sie haben sich versöhnt.« Das war Susanna, kalt wie ein Marmorfußboden.
    »Mehr als das. Guck dir an, wie zufrieden er aussieht.«
    »Aber hattest du nicht gesagt, dass sie einen anderen hat? Der Typ aus dem Schwimmbad.«
    Ich klammerte mich an meine Bank.
    »Was weiß ich denn?«, versetzte Elena mit einem Anflug von Zorn. »Vielleicht ist es mit dem ja schon wieder vorbei. Oder es hat niemals angefangen. Vielleicht versucht sie, sich beide warmzuhalten.«
    Ich spürte, wie das Holz der Bank zwischen meinen Fingern gefährlich knirschte, und ließ es sofort los.
    »Im Schwimmbad war er jedenfalls nicht, weder am Samstag noch am Sonntag.« Ein Moment Pause. »Angela …«
    »Ruhe jetzt in der zweiten Reihe!«, schimpfte der Lehrer.
    Das Geflüster im Klassenzimmer brach abrupt ab. Ich hatte den Atem angehalten und atmete jetzt tief aus. Da nichts mehr zu hören war, befahl ich dem Wolf, mich zu verlassen: Er gehorchte sofort.
    Ich öffnete die Augen, sah die Spuren, die meine Finger auf der Holzspanplatte der Bank hinterlassen hatten, und dann Irene, die mich mit ängstlich geweiteten Augen ansah.
    »Stimmt was nicht?«, formulierten ihre Lippen geräuschlos.
    Ich schüttelte den Kopf, zwang mich zu einem Grinsen und signalisierte ihr mit dem Daumen in der Luft, dass alles okay war.
    Sie nickte, wenig überzeugt, und fuhr fort, mich verstohlen zu beobachten. Ich tat mein Bestes, um ganz normal zu erscheinen, und zwang mich, mich nicht eingehender damit zu beschäftigen, was ich mit der Bank angestellt hatte. Die übermenschliche Kraft des Wolfes verblüffte mich immer wieder; ich nahm mir fest vor, in Zukunft vorsichtiger damit umzugehen.
    Bis zur Pause konnte ich an nichts anderes denken. Die drei Grazien hatten mich also noch immer im Visier, sie beobachteten mich, sie sprachen über mich, sie studierten meine Beziehung zu Alex und sogar die zu … Nein, an ihn durfte ich nicht denken. Nicht jetzt.
    Ich spürte, dass ich sie hasste, wie ich noch nie jemanden in

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