Die zwei Monde: Roman (German Edition)
was mich danach erwartete. Meine einzige Hoffnung sei, den Wolf zu beherrschen, hatte der Conte gesagt. Würde ich das schaffen?
Kapitel 24
Montag, 2. März
Zunehmender Mond
H allo, Veronica.«
Alex’ Stimme war so nah und kam so unerwartet, dass ich zusammenfuhr und nur deshalb das Gleichgewicht hielt, weil ich sowieso schon ein Knie auf dem Boden hatte.
Ich war dabei, mir den Schnürsenkel zuzubinden, der mich bei meinem Sprint Richtung Klassenzimmer beinahe zu Fall gebracht hätte. Alex streckte seine Hand aus und ich ließ zu, dass er mir half, wieder in die Vertikale zu kommen. Wir starrten uns an.
Die Halle um uns herum war fast leer: Abgesehen von ein paar wenigen Schülern, die genau wie ich notorisch zu spät kamen. Allerdings hatte ich noch nie erlebt, dass Alex zu spät gekommen war.
»Hallo«, erwiderte ich endlich.
Er zögerte. »Bist du wieder gesund?«
Natürlich bin ich gesund. Sonst würde ich ja wohl zu Hause bleiben!
»Ja. Es war nur eine leichte Grippe.«
»Das freut mich.«
Es sah tatsächlich so aus, als würde er es auch so meinen.
»Hör mal …«, nahm er nach einem Moment den Faden wieder auf, »ich habe sehr viel über unser letztes Gespräch nachgedacht, und …«
Ich hielt den Atem an und kapierte erst jetzt, was vor sich ging: Alex hatte auf mich gewartet, um mit mir zu reden. Und er konnte gar nicht wissen, wann ich wieder in die Schule kommen würde, also hatte er das vielleicht jeden Tag getan, seit ich krank geworden war!
»… Ich finde es nicht gut, wie die Dinge sich zwischen uns entwickelt haben«, schloss er.
Statt einer Antwort bedachte ich ihn mit einem stummen Blick.
»Ich will damit sagen … Ich hab mich danebenbenommen, in jeder Hinsicht. Ich hab dich neulich schon um Entschuldigung gebeten, aber ich weiß, dass das nichts ändert und nichts ungeschehen machen kann. Wenn du also wütend auf mich bist, hast du allen Grund dazu! Aber ich will nicht … Es soll nicht so sein, dass …«
»Alex«, unterbrach ich ihn. Ich holte tief Luft, und plötzlich war es, als wäre in meinem Kopf ein Leuchtturm angegangen: Mein Gehirn stellte eine Frage nach der anderen und eliminierte sie dann wie ein Exekutionskommando.
Wollte ich wirklich auf Alex sauer sein? Wollte ich ihn hassen für das, was er getan hatte?
Nein.
Konnten wir alles vergessen und neu anfangen, als ob dieses verdammte Fest nie existiert hätte?
Ja.
Hatte ich etwas zu verlieren?
Nein.
Hatte ich noch Angst?
Nein.
Ich sah ihm in die Augen und grinste. »Wenn du willst, dass ich dir verzeihe«, sagte ich mit so gelassener und souveräner Stimme, dass sie mir geradezu fremd erschien, »wirst du wenigstens mal mit mir ausgehen müssen.«
Er sah mich mit offenem Mund an, völlig perplex. Dann schluckte er. »Äh … Klar, gerne!« Er sah sich beinahe hilfesuchend um; ich hatte ihn noch nie so verlegen gesehen. Es folgte ein sekundenlanges Schweigen. »Passt dir Samstag?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Vorher.« Ich dachte einen Moment nach. »Morgen.«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, offensichtlich ohne es zu merken. »Aha … Na gut. Morgen Abend. Ist okay. Um wie viel Uhr? …«
»Das sag ich dir nachher. Ich schick dir eine SMS .«
Er nickte und wich jetzt meinem Blick aus. »Ich glaube, wir sind ziemlich spät dran«, murmelte er und schielte die Treppe hoch.
»Ja, gehen wir.«
Der Lehrer war schon da, als wir das Klassenzimmer betraten, und so fingen wir uns einen Rüffel ein. Ich hörte nur mit einem Ohr hin und war vollkommen unbeeindruckt, auch wenn es das erste Mal war, dass ich auf diese Weise vor allen getadelt wurde: Es gab einfach genug andere Dinge, an die ich zu denken hatte.
Vor zehn Tagen war ich abends mit Ivan ausgegangen, er hatte mich geküsst und vier Tage später versucht, mich umzubringen. Heute wiederum hatte ich Alex gefragt, ob er mit mir ausgehen würde. Ich hatte einen Jungen gebeten, mit mir auszugehen . Am Dienstagabend. Ohne überhaupt nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, wie ich meiner Mutter die Erlaubnis entlocken sollte. Und all das kaum eine Woche, nachdem ich von einer Bande von verrückten Priestern fast ermordet worden wäre, zu der noch dazu ein Junge gehörte, in den ich rasend verliebt war (gewesen war … immer noch war …).
Ich musste verrückt sein. War das vielleicht eine Nachwirkung des Fiebers, des Schocks, des Eisenhuts?
Ja, schlussfolgerte ich, während ich auf meine Bank zuging: Ich war am Durchdrehen. Das war die
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