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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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Handbreit und mich um fast einen ganzen Kopf. Ihre glatten, rabenschwarzen Haare fielen ihr wie ein Wasserfall über den Rücken, und der Puppenpony, der sich über ihre Stirn drapierte, tat wenig dazu, den herablassenden und leicht angeekelten Blick abzumildern, den sie ständig zur Schau trug. Sie hatte immer eng anliegende Klamotten an und ihre Jeans saßen stets tief auf der Hüfte, auch an Tagen, an denen eine solche Polarkälte herrschte wie heute – und sie machte immer eine gute Figur darin. Ich hatte gehört, dass sie eine erstklassige Schwimmerin sei, was angesichts ihres Körpers absolut glaubhaft schien. Auch ich ging regelmäßig jeden Donnerstag schwimmen, aber Schenkel wie diese würde ich nie haben, nicht einmal im Traum.
    Es war ihr Geburtstagsfest gewesen, auf dem ich am Abend zuvor gewesen war: Sie war achtzehn geworden. Damit war sie fünf Wochen vor mir an dem magischen Datum angekommen, und das war nur eine Sache, die sie mir voraushatte.
    Susanna war kleiner, aber nicht weniger elegant. Ihre braunen Locken waren weitaus fügsamer als die meinen und immer in perfekter Ordnung; sie trug eine Brille und hatte ein weiches, rundes Gesicht. Als Manga-Heldin wäre sie die Intellektuelle der Gruppe, die junge Wissenschaftlerin oder die geniale Programmiererin, sehr süß und ein wenig naiv. In den nussbraunen Augen, die mich jetzt durch die Brillengläser anstarrten, lag jedoch weniger Süße als in einem Stein, und vielleicht ebenso wenig Naivität. Was die Intelligenz betraf, hatte sie die Figur jedoch richtig getroffen: Sie war unangefochten die Klassenbeste, und wie ich gehört hatte, war sie es immer gewesen, auch in früheren Jahren.
    Zwischen den beiden schließlich, auf dem Platz, der ihr naturgemäß zustand: die Prinzessin.
    Angela war ein Gemälde, das ideale Modell eines Renaissancemalers. Wer sie ansah, wusste nicht, worauf er seine Aufmerksamkeit zuerst richten sollte: auf ihre kornblonden Locken, ihre Porzellanhaut, ihre blauen, beinahe violetten Augen oder ihren Rosenmund. Ihre Eltern hätten keinen besseren Namen für sie finden können: Angela, die Engelsgleiche. Zu behaupten, dass sie – wo immer sie sich befand – im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, wäre eine Untertreibung gewesen.
    In diesem Moment hatte sie, wie gesagt, ihren Blick auf mich gerichtet, und folglich drehten sich alle anderen ebenfalls zu mir um.
    Mein erster Impuls war, mich einfach mit gesenktem Kopf zu meinem Platz in der vorletzten Reihe zu flüchten. Stattdessen presste ich die Lippen zusammen und hielt ihrem Blick stand. Warum sollte ich es sein, die zuerst wegsah? Nur weil sie mich mit ihren amethystfarbenen Pupillen durchbohrte?
    Wir waren keine Freundinnen, hatten nur ab und an ein paar wenige Worte gewechselt, und auch bei den anderen beiden war das nicht anders; ich war lediglich auf Elenas Fest eingeladen, weil die ganze Klasse eingeladen war.
    Aber wir waren auch keine Feindinnen. Oder jedenfalls nicht offiziell: Zwar hatte mir nie gefallen, wie die drei mich ansahen oder miteinander tuschelten, wenn ich an ihnen vorbeiging, aber es hatte auch keine offenen Zeichen von Feindschaft zwischen uns gegeben.
    Ich sah die drei Manga-Heldinnen so gleichgültig wie nur möglich an: Auf Angelas Lippen lag die Andeutung eines Lächelns, ein rätselhafter, aber irgendwie anziehender Gesichtsausdruck, wie ihn nur sehr selbstsichere Menschen über längere Zeit zur Schau stellen konnten. Ihre Komplizinnen hingegen lächelten ganz und gar nicht.
    Ich warf einen Blick auf die Jungs um sie herum und bereute es sofort: Auf Angelas Bank lümmelte mit übereinandergeschlagenen Beinen, die Hände am Rand aufgestützt, Alex.
    Alex gefiel mir, es wäre dumm gewesen, das nicht wenigstens vor mir selber zuzugeben. Er hatte dunkelblonde Haare, die im Licht wie Kupferfäden leuchteten, haselnussbraune Augen und ein Lächeln, das einen zwang, ihn zumindest zur Kenntnis zu nehmen.
    Auch mit ihm hatte ich bisher kaum geredet, vor allem weil meine Zunge, wenn er mich anlächelte, meistens die plötzliche Tendenz hatte, am Gaumen festzukleben. Aber er war immer nett zu mir, und als ich im November mit Grippe flachgelegen war, hatte er mich sogar zu Hause angerufen – von sich aus! –, um mir die Hausaufgaben durchzugeben.
    Ich hätte gern, sehr gern , mehr mit ihm zu tun gehabt, aber angesichts der Tatsache, dass er mich schrecklich nervös machte und mehr oder weniger fester Bestandteil von Angelas Hofgesellschaft war, sah ich

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