Die Zwei Schwerter, Band 1: Der Ansturm der Orks (German Edition)
immer dem Königreich Lemuria, und wir benötigen sie dringend in dieser Stunde, auch wenn uns jetzt die Zeit fehlt, alle Zusammenhänge zu schildern.“
„Ihr wollt das Goldene Schwert zurück?“, fragte Radament mit unschuldiger Verblüffung in der Stimme. Gleichzeitig sprang er so schnell von seinem Stuhl auf, dass alle alarmiert wurden und ihre Bestecke fallen ließen. „Warum bloß seid Ihr nicht eher gekommen? Seit unzähligen Jahren warte ich nun schon sehnsüchtig darauf, meine lieben Freunde, den Menschen ihre Habe zurückzugeben. Allerdings wagte ich, nach dem, was man mir so alles andichtete, niemals mehr, in den Westen zurückzugehen, wo ich so viele glückliche und interessante Tage erlebte. Aber nun scheint die rechte Gelegenheit endlich gekommen zu sein! Rasch, folgt mir, dann soll das Prachtstück nach so vielen Jahrhunderten durch Eure Hände wieder in die Himmelblaue Stadt gelangen!“
Er ging mit großen Schritten in Richtung der in die rechte Zimmerwand eingelassenen Tür, sodass die Gefährten sich eilen mussten, um ihm nachzukommen. Alle waren sie augenblicklich bis zum Zerreißen gespannt und konnten kaum glauben, dass das Ziel ihrer weiten Reise nunmehr so greifbar nah vor ihnen lag.
Ihr Gastgeber öffnete knarrend die Tür und führte sie in einen sich anschließenden, durch wenige Kerzen schwach beleuchteten Raum. Dieser war etwas größer als der vorherige und – bis auf einige bemerkenswerte Ausnahmen – von einer gähnenden Leerheit erfüllt.
In der hinteren Hälfte war ein enormer, dicker Teppich ausgelegt, der jenen Bereich vollständig ausfüllte. Er war in einem schweren Weinrot mit einigen dunklen Blautönen gehalten und wies unzählige Fransen auf. Auf ihm stand, nicht weit entfernt von der rückwärtigen Wand, ein hölzernes Podest mit einer geschwungenen, vasenförmigen Gestalt. Darauf wiederum befand sich ein großes, blaues Seidentuch, an dessen Oberfläche sich längliche Umrisse, wie beispielsweise von einem Schwert, abzeichneten. Als weiterer Hinweis auf den verhüllten Gegenstand drang ein Schimmern durch den dämpfenden Stoff hindurch, das so kraftvoll und prächtig war, dass es schien, als läge die Sonne selbst an dieser Stelle verborgen.
Doch noch etwas anderes erregte die Aufmerksamkeit der Besucher. In der Ecke rechts von ihnen kauerte nämlich ein Geschöpf auf dem Boden, dessen Anblick ihnen sofortig das Herz erweichen ließ. Das Lebewesen lag da in Unrat und Staub, hielt seinen wunderbaren, pferdeähnlichen Kopf gesenkt und blickte sie mit treuherzigen, unendlich warmen und gütigen Augen an. Eine metallene Kette war um seinen schlanken Hals geschlungen und fesselte es an die Wand. Vieles hatte es mit einem edlen Ross gemein, doch gab es auch einige Unterschiede, zu denen vor allem ein silberweißes Horn gehörte, das aus der Mitte seiner Stirn hervorragte. Unter dem makellos glänzenden, schneeweißen Fell traten bereits seine Knochen deutlich hervor, so abgemagert und ausgemergelt war sein Körper. Das Schlimmste war jedoch die schier alles ergreifende Traurigkeit, die aus jeder Faser jenes so anmutigen Tieres zu sprechen schien.
Für einen Augenblick vergaßen die Gefährten das Goldene Schwert und die Wichtigkeit ihres Auftrages, denn das gefangene Wesen dauerte sie zutiefst.
„Ein Einhorn!“, sagten Braccas und Dwari schließlich wie aus einer Kehle. Ihr Erstaunen kannte derweil keine Grenzen.
Zwischen Zwergen und Einhörnern bestand in Arthilien eine lange Geschichte der Freundschaft, doch waren die grazilen Geschöpfe spätestens seit der Ankunft der Menschen so selten und scheu geworden, dass sie selbst im Osten des Kontinents in den letzten hundert Jahren kaum noch zu Gesicht zu bekommen waren.
„Ja, ich fand das arme Ding nicht weit von hier halbtot und fast verhungert“, sagte Radament hastig, „aber seit ich es in meine Obhut genommen habe, geht es ihm von Tag zu Tag besser. Ichbin guter Hoffnung, dass ich es bald wieder in die Freiheit entlassen kann, ohne dass es eine leichte Beute für Raubtiere und Wilderer wird!“
„Kann es sprechen?“, fragte Dwari, dessen harte Schale beim Anblick des leidenden Tieres sichtlich erweichte.
„Nein, nein“, winkte der andere Zwerg ab, „nicht alle Einhörner können das, und vielleicht haben sie es im Laufe der Jahrhunderte auch verlernt. Denn schließlich sagt man ja, dass erst die Elben ihnen das Sprechen beigebracht hätten, und vielleicht ist mit dem Verschwinden der Spitzohren auch
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