Die Zweierbeziehung
zwischen psychosomatischen und psychoneurotischen Symptombildungen (hysterischen, zwanghaften, phobischen, depressiven, schizophrenen Symptomen usw.) differenziert, weil diese sich grundsätzlich ähnlich auf das Beziehungssystem auswirken. Die Grenzen zwischen schwierigem Charakter und psychischem Krankheitssymptom sind allerdings unschärfer. Die Umgebung wird vom krankhaften Verhalten in einer psychischen Krankheit stärker in Mitleidenschaft gezogen als vom unspezifischeren Krankheitscharakter eines psychosomatischen Symptoms. Ein Zwangssymptom zwingt die Umgebung zum Mitagieren im Zwangsritual, das ihr unverständlich bleibt. In der Psychose entfernt sich der Partner der Umgebung in eine befremdende und beunruhigende Welt. Die Umgebung kann im Allgemeinen mit einem psychischen Krankheitssymptom weit mehr zu Reaktionen von Abwehr, Scham, Schuldgefühlen, Angst und Ärger herausgefordert werden als mit einer körperlichen Symptombildung, die einfach schicksalsergeben als Krankheit hingenommen wird.
9.6. Hilfeabweisendes Krankheitsverhalten Hilfeabweisendes Krankheitsverhalten
Es handelt sich gleichsam um die Übersteigerung psychosomatischen Abwehrverhaltens. Der Patient versagt sich bewusst alles, was als sekundärer Krankheitsgewinn angesehen werden könnte. Er dissimuliert und bagatellisiert seine Krankheit, die sehr häufig eine psychosomatisch bedingte Organkrankheit ist, wie zum Beispiel eine primär chronische Polyarthritis. Die Haltung findet sich aber, was eventuell weniger bekannt ist, auch bei Konversionssymptomen. Der Patient kommuniziert nicht mehr über das Symptom mit der Umgebung, sondern das Symptom selbst kommuniziert scheinbar gegen den Willen des Patienten. Der Patient verhält sich anspruchslos, ruhig, gelassen und «vernünftig». Er gibt an, es gehe ihm recht gut, es stehe gar nicht schlimm mit ihm, er fühle sich wohl und sei zufrieden. Das Symptom aber legt dar, dass es mit dem Patienten miserabel steht, dass er eingehender medizinischer Abklärungen bedarf, intensiver Pflege und Schonung, dass er sich in einem bedauernswerten, grässlichen und lebensbedrohenden Zustand befindet. Der Patient verhält sich unverdrossen autonom, entschuldigt sich laufend für allfällige Unannehmlichkeiten, die sein Leiden der Umgebung bereite, lehnt jede Hilfe ab und fordert die Umgebung dauernd verbal auf, seinem Leiden keinerlei Beachtung zu schenken und sich in keiner Weise durch ihn belasten zu lassen.
Diese Patienten sind meist mit Angehörigen liiert, die genauso eingestellt sind, wie es die Patienten verbalisieren. Der Partner möchte sich nicht durch die Partnerschaft belasten lassen. Er hat die Beziehung so definiert, dass keinerlei Ansprüche an ihn gestellt werden dürfen und ihm keinerlei Einschränkungen auferlegt werden sollen. Oder er engagiert sich höchstens in dem Sinne, dass er pausenlos etwas für den Patienten «machen» will, ohne sich persönlich einzulassen. Durch die Krankheit stellt nun der Patient plötzlich Ansprüche, die ihn belasten, worüber er im höchsten Maße beunruhigt und ungehalten ist. Der Kranke empfindet einesteils echte Schuldgefühle, weil er es von Kindheit an gewohnt ist, dass er keine Ansprüche an die Umgebung stellen darf. Andererseits hat seine Krankheit dem Partner gegenüber auch einen gewissen Rachecharakter: «Es tut mir leid, meine Krankheit zwingt dich gegen meinen Willen, mir Hilfe zu leisten.» Der Patient vermittelt dem Partner eine Doppelbindungs-Situation. Verbal verhält er sich so, wie es der Partner im Grunde wünscht: «Kümmere dich nicht um mich und meine Krankheit, geh Ski laufen, nimm dir eine Freundin, widme dich deinem Beruf usw.» Verhält sich der Partner gemäß dieser Aufforderung, die im Grunde seinen Intentionen entspricht, so wird er von Gewissensqualen geplagt, und es wird ihm jedes Vergnügen, das er sich fern vom Patienten leistet, verdorben. Verleugnet aber der Partner seine ursprüngliche Absicht, sich nicht um den Patienten zu kümmern, und verhält er sich pflegerisch, so wird er gereizt und mürrisch, da er sich der Krankheit beugen muss. Der Partner sitzt in der Falle, der Patient aber ist unangreifbar, weil er bewusst und verbal den sekundären Krankheitsgewinn ablehnt und jeden Anspruch darauf verleugnet.
Aber auch der Arzt kann sich diesen Patienten gegenüber nie richtig verhalten. Sie sind in ihren Angaben völlig unzuverlässig, sabotieren die Behandlung und machen oft den Eindruck, als hätten sie es nur darauf
Weitere Kostenlose Bücher