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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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verliebtes Gezwitscher und süßliches Gesäusel. Die wegen der Schwäche der Frau auferlegte sexuelle Abstinenz wird vom Mann mit größter Rücksichtnahme akzeptiert. Die orale Kollusion mit der Thematik Pflegen und Gepflegtwerden kann durch das Symptom konfliktfrei aufrechterhalten werden.
    In der
analen Kollusion
wird die Frage nach Herrschen und Beherrschtwerden durch die Krankheit gegenstandslos und verschleiert. Der Kranke kann den Gesunden mit seiner Krankheit tyrannisieren, umgekehrt kann sich der Gesunde als der Stärkere fühlen und den geschwächten Kranken in gesicherter Abhängigkeit halten. Dabei ergibt sich nie mit Klarheit, wer wen beherrscht, weil ja im Ausnahmezustand alles nicht zum Nennwert genommen werden muss. Auch im Kampf um den Besitz kann die psychosomatische Symptombildung zu einem für beide Partner tragbaren Kompromiss führen wie in folgendem Beispiel:
    Beispiel 27: Es handelt sich um eine kinderlose Spätehe. Beide Partner wollten alles vom andern haben, ohne ihm alles geben zu müssen. Beide Partner waren in ebenbürtiger beruflicher Position. Der Streit konkretisierte sich in der Geldfrage. Der Mann war der Ansicht, dass man das Geld zusammenlegen müsse. Die Frau dagegen wollte das selbstverdiente Geld für sich behalten. Unter der jahrelangen Spannung im Besitzstreit entwickelte die Frau eine Horton’sche Neuralgie. Diese Krankheit löste den Konflikt insofern, als für die Abklärung und Behandlung ihrer Krankheit sehr viel Geld benötigt wurde. Die Kompromisslösung bestand darin, dass – wie es der Mann wünschte – das Geld zusammengelegt werden musste, dass aber fast alles Geld – wie es dem Wunsch der Frau entsprach – für die (kranke) Frau ausgegeben werden musste. Nachdem die Frau in Behandlung vieler Ärzte gewesen war, wurde dem Leiden durch Operation ein Ende gesetzt. Die Frau musste in der Folge wegen einer Depression psychiatrisch hospitalisiert werden. Der behandelnde Arzt schlug eine Ehetherapie vor. Der Konflikt fixierte sich nun auf eine andere Störung: Der Mann zeigte der Frau gegenüber keinerlei sexuelle Aktivität mehr. Sie behauptete, das müsse an einer Krankheit liegen, und führte als Beweis seine stark gelblich verfärbten Unterhosen an. Es handelte sich hier sozusagen um einen Besitzstreit um die männlichen Samen: Die Frau wollte diese ganz für sich haben, der Mann sie aber für sich behalten. Die Frau versuchte nun den Mann zum Kranken zu organisieren, wogegen er sich zur Wehr setzte. Auch hier hätte die Diagnose einer körperlichen Krankheit wohl diesen Konflikt zu neutralisieren vermocht.
    In der
phallischen Kollusion
entfällt die Rivalität zwischen den Partnern, weil durch die Krankheit die sexuellen Beziehungen, aber auch überhaupt jedes Kräftemessen verunmöglicht wird und ein Versagen und Unterliegen als krankheitsbedingt entschuldigt werden kann. So gibt es kein Kräftemessen bezüglich männlicher Funktionen, Prestige, Leistungsfähigkeit und Initiative mehr. Im folgenden Beispiel bestand in der Ehe eine starke Rivalität hinsichtlich sportlicher Leistungsfähigkeit beim Bergsteigen und Skifahren:
    Beispiel 28: Der Mann, ein Deutscher, empfand es als tiefe Kränkung, wenn er beim Bergsteigen atemlos hinter seiner Frau – einer Schweizerin – einherhastete und feststellen musste, dass der Abstand zu ihr bis zur Erreichung des Gipfels immer größer wurde. Er empfand es zudem als Blamage, dass die Frau den Rucksack trug. Die Frau äußerte sich ihm gegenüber abschätzig, es langweile sie, mit ihm Bergtouren zu unternehmen, sie würde lieber allein mit dem Bergführer losziehen. Bei späteren Ferienaufenthalten verknackste sich der Mann regelmäßig am ersten Tag den Fuß, sodass ihm vom Arzt die Fortsetzung des Tourenprogramms untersagt wurde. Damit lösten sie jeweils ihre Ferienrivalität.

9.5. Die Dialektik von Schuld und Verdienst
    I. B OSZORMENYI -N AGY und G. S PARK schlagen vor, das familiäre System unter dem Aspekt einer Buchführung zu betrachten, in der Verdienste und Schulden eines jeden Familiengliedes aufgeführt sind. Das Verhalten jedes Familiengliedes vereint Schuld und Verdienst in dialektischer Weise in sich. Es besteht eine meist unbewusste Gerechtigkeitsbalance in der Familie, die den Ausgleich von Schuld und Verdienst in der Familie fordert.
    Bei psychosomatischen Paarerkrankungen scheint mir die Betrachtung des Verhaltens jedes Partners unter dem Aspekt von Verdienst und Schuld besonders fruchtbar.

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