Die Zweierbeziehung
ihrer Lähmung kommuniziert sie ihm: «Ich bin so schwach auf den Beinen, ohne deine stützende Hilfe kann ich im Leben nicht mehr weiter.»
Welche Krankheitsmanifestationen den Konversionssymptomen zuzurechnen sind und welche nicht, ist in der psychiatrischen Wissenschaft viel diskutiert worden, ohne dass eine einheitliche Begriffsfassung erreicht worden wäre. Ergiebiger als diese Frage der nosologischen Einteilung scheint mir die psychodynamische Bedeutung dieses Begriffes, der Aspekt der unbewussten Gebärdensprache. Dieser Aspekt zeigt sich in dem folgenden Beispiel einer Herzneurose (die Herzneurose ist bei G. E NGEL unter den häufigen Konversionsmanifestationen aufgeführt):
Beispiel 31: Ein 28-jähriger Mann war in überbehüteten Verhältnissen als Einzelkind aufgewachsen. Während seines ersten Auslandsaufenthaltes lernte er in Paris seine spätere Ehefrau kennen, die seine erste Mädchenbekanntschaft war. Sie selbst war ebenfalls Einzelkind. Kurz vor der Hochzeit kam es zu langdauernden Spannungen zwischen den Partnern den Wohnsitz betreffend: Der Mann drängte nach Zürich zurück, die Frau beharrte auf Paris. In dieser Zeit traten beim Mann allgemeine Reizbarkeit, Nervosität und Colon irritabile auf. Zwei Monate nach der Heirat machte der Mann eine Grippe durch, worunter eine schwere Herzneurose ausbrach mit Druck und Stechen in der Herzgegend, panikartiger Angst vor Herzinfarkt ohne Vorliegen eines objektiven Herzbefundes. Der notfallmäßig zugezogene Arzt beruhigte den Mann bezüglich organischer Befunde, riet ihm aber zur Rückkehr in die Schweiz, wo die nahen Berge und die Gelegenheit zum Wintersport seiner Gesundheit zuträglicher seien. Die Frau musste sich dem ärztlichen Attest beugen, und das Paar zog nach Zürich, wo es zunächst bei den Eltern des Mannes wohnte. Im Laufe von drei Jahren lernte die Frau in Zürich kein Wort Deutsch, sodass sie nicht einmal in der Lage war, ihre Einkäufe zu tätigen und sich mit den Nachbarn zu verständigen. So verbrachte sie den ganzen Tag allein in der Wohnung und wartete auf die abendliche Rückkehr des Mannes, der dann für sie alles erledigen musste, was sie wegen ihrer Sprachschwierigkeiten nicht hatte bewältigen können. Die Frau war todunglücklich, drängte andauernd nach Paris zurück und weigerte sich, in Zürich Fuß zu fassen. Sie hintertrieb den beruflichen Aufstieg des Mannes, insbesondere die Möglichkeit, in den Außendienst aufzusteigen, was unregelmäßige Arbeitszeit und spätes abendliches Heimkehren bedeutet hätte. Nachdem sich die herzneurotischen Symptome des Mannes mit der Rückkehr nach Zürich vorübergehend gebessert hatten, verstärkten sie sich alsbald wieder. Es trat Angst vor dem Alleinsein auf, Platzangst und Angst vor Ohnmachten. Es kam zur Einschränkung des Aktionsradius und schließlich zur Arbeitsunfähigkeit. Der Mann trat deswegen in unsere stationäre Psychotherapie ein.
Mit der Hospitalisation des Patienten wurde das eheliche System tiefgehend erschüttert. Die Frau war stark beunruhigt und drängte auf sofortige Heimkehr des Mannes. Als dieser ihrer Forderung nicht nachkam, flüchtete sie zu ihren Eltern und weigerte sich trotzig zurückzukehren, bis der Mann entlassen werde. Sie war dem Therapeuten gegenüber feindlich eingestellt und versuchte, die Therapie zu untergraben. Plötzlich hörten wir, dass sie selbst an einer angstneurotischen Symptomatik erkrankt war, nämlich an nächtlichen Angstanfällen und irrationaler Angst beim Alleinsein.
Für die Heilung des Patienten in der Behandlung war eine wichtige Voraussetzung, dass es gelungen war, die Frau nun doch noch für die Therapie zu gewinnen und ihr zur Einsicht zu verhelfen, dass, solange sie den Mann derart einenge, sie ihn in seiner Symptomatik fixiere und sich damit selbst die Rückkehr nach Paris verbaue. Sie erkannte, dass der Mann erst dann den Mut aufbringen könnte, nach Paris umzuziehen, wenn er sich ausreichende Selbstsicherheit und Gesundheit erworben hätte. Um ihm diese zu vermitteln, musste sie ihm mehr Lebensraum zugestehen, was ihr aber erst möglich geworden war, nachdem sie begonnen hatte, sich in Zürich zu akklimatisieren und die Sprache zu erlernen, um damit autonomer zu werden.
Durch die herzneurotische Symptombildung musste der Streit um den Wohnsitz nicht mehr direkt ausgetragen werden. Der Mann musste seinen Anspruch, nach Zürich zurückzukehren, nicht mehr direkt vertreten. Das Symptom übernahm die Mitteilung an den
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