Die Zweierbeziehung
abgesehen, den Arzt in seinen therapeutischen Bemühungen zu Fall zu bringen, ihn als hilflos zu entlarven, ihn zu frustrieren und an ihm Rache zu üben. Ihr Verhalten ist eine Abwehr der psychosomatischen Abwehr, das heißt, der sekundäre Krankheitsgewinn wird abgewehrt durch ein dissimulierend-hilfeabweisendes Krankheitsverhalten. In der Therapie muss man versuchen, diesen Patienten zunächst zu helfen, sich überhaupt als krank wahrzunehmen und zu akzeptieren. Der persönliche Hintergrund dieser Haltung ist eine extreme Form von Hoffnungslosigkeit. Häufig sind die Patienten depressiv, haben ein schlechtes Selbstgefühl und leiden unter schweren Schuldgefühlen gegenüber eigenen Ansprüchen und an selbstdestruktiven Tendenzen.
Beispiel 29: Ein akademischer Forscher in 30-jähriger Ehe. Er hatte von der Frau immer verlangt, sich seiner Arbeit unterzuordnen, ihm jegliche Freiheit zuzugestehen und keine Ansprüche an ihn zu stellen. Die Frau versuchte ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Der wesentliche Konflikt in der Ehe war jedoch, dass die Frau wohl den ihr auferlegten Verzicht akzeptierte, dass sie aber den Anspruch erhob, über alles, was der Mann tat und dachte, informiert zu werden, um daran teilzunehmen. Der Mann empfand das als eine unzulässige Einmischung, die er sich verbat. Die Frau entwickelte seit Jahren eine primär-chronische Polyarthritis, derentwegen sie heute stark behindert ist. Sie muss an Stöcken gehen und kann Treppen kaum bewältigen. Die Frau äußert dauernd Schuldgefühle, dass sie den Mann mit ihrer Krankheit belaste, und unternimmt alles, um ihre Selbständigkeit zu wahren und sich nicht von ihm abhängig zu machen. Trotzdem leidet sie darunter, dass er für ihre Beschwerden so wenig Verständnis und Rücksicht aufbringen kann. Sie wehrt aber ihre Anlehnungsbedürfnisse und Abhängigkeitswünsche ab und verhält sich provokativ autonom. Der Mann umgekehrt fühlt sich durch ihre körperliche Krankheit eingeengt und möchte im Grunde sein eigenes Leben ohne die Belastung durch die Frau leben. Er reißt sich gelegentlich los, um Sport zu treiben oder allein in die Ferien zu fahren. Er kann das Alleinsein aber nicht genießen wegen seines schlechten Gewissens der Frau gegenüber. Wenn er ihr helfen sollte, ist er ungehalten und gereizt, weil er es der Frau ja doch nie richtig machen könne. So quälen sie sich gegenseitig mit der Krankheit, wobei beide ihre Ärgerlichkeit und Schuldgefühle verleugnen. Die Frau bestreitet, dass sie im Grunde genommen vom Mann gepflegt werden möchte, der Mann, dass er sich durch ihre Krankheit eingeengt und belastet fühle. So sagt die Frau ihm dauernd: «Geh doch allein auf eine Reise, das tut dir doch gut.» Heimlich denkt sie aber: «Wenn er doch nur bei mir bleiben würde.» Wenn sie tatsächlich allein gelassen wird, bekommt sie in der Wohnung Angstzustände. Der Mann denkt heimlich an Scheidung oder Trennung und möchte die Frau in ein Pflegeheim abschieben, Phantasien, die er ihr gegenüber streng geheim hält. Die Frau ahnt das aber, was ihr Bedürfnis nach Autonomie wiederum verstärkt, da sie keinesfalls einem Heim ausgeliefert sein möchte. Beide können nicht zueinander und nicht voneinander gehen.
Beispiel 30: Eine 38-jährige kinderlos verheiratete Frau kam in stationäre Psychotherapie wegen funktionellen Beinlähmungen und Migräneattacken. Sie ist seit neun Jahren mit einem Schweizer verheiratet und lebt mit diesem seither in Afrika. Der Mann ist ein erfolgreicher Techniker und großer Sportler. Sie leben in neokolonialistisch-feudalen Verhältnissen. Der Arbeitgeber, eine Großfirma, liefert Wohnung, Mobiliar und bestimmt das ganze Leben. Man pflegt gesellige Betriebsamkeit und eifriges Partyleben. Die Ehe ist angeblich aus Vernunftgründen geschlossen worden. Die Frau hat von Anfang an nie gewagt, eigene Ansprüche dem Manne gegenüber zu stellen. Sie gab sich für ihn auf und war ängstlich darauf bedacht, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Der Mann seinerseits zeigte wenig Interesse an der Beziehung zur Frau, sondern lebte ganz für seine sportlichen und gesellschaftlichen Ambitionen. Eheliche Spannungen wurden nie offen ausgetragen. Beide hatten eine große Abneigung gegen offene Streitszenen.
Die Patientin leidet seit dem 20. Altersjahr an Migräneattacken ein- bis zweimal pro Woche, in denen sie sich jeweils ins Bett zurückziehen muss. Diese Migräneattacken treten nicht selten im Zusammenhang mit
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