Die Zweierbeziehung
Nähe und Distanz. Sie zwingt die Partner, sich einander intensiver zuzuwenden und sich ausschließlich miteinander zu befassen. Gleichzeitig können aber gar keine Ansprüche und Konfliktangebote aufkommen, die über Pflege und Umsorgung hinausgehen.
Durch das Symptom ist man aneinandergekettet und voreinander geschützt. Die Konflikte sind zwar nicht verschwunden, aber sie werden jetzt auf dieser verschobenen Stufe ausgetragen, die es oftmals beiden Partnern erleichtert, sich elastischer zu verhalten, da sie jetzt nachsichtiger zueinander sein können, ohne das Gesicht zu verlieren.
9.4. Die psychosomatische Kommunikation Psychosomatische Kommunikation
Die Kommunikationstheorie sieht im Symptom ein adäquates Verhalten in einem unhaltbaren ehelichen oder familiären Kontext (s. W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON ). Mit dem Symptom können sich die Partner mitteilen, was ihnen verbal nicht kommunizierbar ist, wofür sie in dieser verfremdeten Form nicht haftbar gemacht werden können und nicht als zurechnungsfähig gelten. Die Krankheit des Systems besteht dann darin, dass nur diese unverantwortete, averbale Form von Kommunikation zugelassen wird.
Betrachten wir nun, in welcher Form zwei Partner mittels psychosomatischer Symptombildung den kollusiven Konflikt modifizieren können:
In der
oralen Kollusion
kann der Partner in Pfleglingsposition mehr Pflege und Zuwendung erlangen, weil dieser Anspruch durch die Krankheit legitimiert ist und auch dem Partner in Mutterposition pflegerisches Entgegenkommen ermöglicht. Wird aber der bisher überforderte Partner in Mutterposition krank, so ist er von den Pflegeverpflichtungen entbunden. Er darf jetzt selbst oral regredieren und Ansprüche an seine Umgebung stellen, ohne deswegen sein Selbstbild von Bedürfnislosigkeit und Anspruchslosigkeit zu verlieren.
Beispiel 26: Eine 32-jährige Frau ist seit elf Jahren praktisch dauernd wegen einer funktionellen Gehstörung ans Bett gefesselt. Sie lebt mit ihrem gleichaltrigen Ehemann, einem Elektroniktechniker, seit sechs Jahren in gewollt kinderloser Ehe. Nachdem sie schon in unzähligen Kliniken und Instituten behandelt worden ist, wird sie uns zur stationären Psychotherapie zugewiesen. Sie ist eine musisch aussehende junge Frau mit langem wallendem Haar. Sie zeigt gekünstelte, dramatisierende Gebärden, verklärte Gesichtszüge, sie wirkt geziert, pathetisch, süßlich und ganz auf ihre körperlichen Beschwerden eingeengt. Ihr Mann ist ein kleingewachsener unscheinbarer Techniker mit hintergründigem Ehrgeiz und hohen Idealen. Er hatte keine vorehelichen Bekanntschaften und war früher Leiter religiöser Jugendbewegungen. Er begann ein Abendgymnasium, das er aber aufgab, um sich ganz seiner kranken Frau widmen zu können.
Das Paar lernte sich bereits 16-jährig im Konfirmandenunterricht kennen. Ihre eigentliche Bekanntschaft begann jedoch erst mit 21 Jahren. Die Frau hatte sich damals unter dem Druck der Eltern entschlossen, eine Liebesaffäre zu einem Künstler aufzugeben und sich mit ihrem späteren Ehemann zu liieren. Im direkten Anschluss an den ersten gemeinsamen Spaziergang mit ihrem späteren Mann trat ihre Schwäche mit Gehstörung auf, deretwegen sie nun seit elf Jahren ans Bett gebunden ist. Sie wies den Mann wegen ihrer Krankheit ab, um ihn auf die Probe zu stellen. Sie war nämlich der Meinung, keinen Mann wirklich an sich binden zu können. Als nun der Mann auf Fortsetzung der Bekanntschaft drängte und beteuerte, er wäre ohne sie nicht mehr lebensfähig, kam sie zu der Überzeugung: «Das ist ein Mann, den man heiraten kann, auf den ist Verlass, das ist eine solide Sache.» Nach fünfjähriger Bekanntschaft erfolgte die Heirat mit Haustrauung, da die Patientin bettlägerig war. So blieb sie bis jetzt in Pflege ihrer in der Nachbarwohnung lebenden Eltern und des Ehemannes. Sie darf tagsüber nicht allein gelassen werden, da sie darunter leiden könnte. Der Mann pflegt die Frau mit größter Aufopferung. Er versucht sie mit Musik und Vorlesen zu unterhalten. Er sieht in der Krankheit der Frau direkt einen Vorteil für die Ehe: «Wir sind dem Ziel der Ehe näher gekommen als andere. Wir müssen viel Zeit füreinander aufwenden und sind uns deshalb so verbunden.» Er bleibt praktisch jede freie Minute bei der bettlägerigen Frau. Er kocht gerne und besorgt gerne den Haushalt. Die Frau verklärt das eheliche Paradies in nicht zu überbietender Weise. Wenn sich das Paar dem Arzt präsentiert, ist das ein
Weitere Kostenlose Bücher