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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Frustrationen vonseiten ihres Mannes auf: Die Patientin zieht sich dann immer sofort auf ihr Zimmer zurück.
    Die Patientin wagte nie, den Mann mit irgendwelchen Problemen zu belasten. Sie verleugnete ihre eheliche Frustration. Sie kehrte aber fast alljährlich krankheitshalber für mehrere Monate in die Schweiz zurück. Das eine Mal handelte es sich um einen Knochenbruch, den sie sich beim gemeinsamen Sport mit dem Mann zugezogen hatte, ein anderes Mal um eine Schilddrüsenoperation, dann wieder um eine Abklärung wegen fraglichen Ulcus duodeni usw.
    Seit einem halben Jahr war sie nun zunächst in Afrika in Behandlung wegen ungeklärten Fieberzuständen. Sie erhielt Vitamin- B12-lnjektionen zur allgemeinen Stärkung. Es kamen Husten und Bronchitis dazu, was mit Antibiotika und weiteren Vitaminspritzen behandelt wurde. Als sich noch Kopfweh dazugesellte, vermuteten die Ärzte Malaria. Diese konnte zwar nie gesichert werden, trotzdem wurde die Patientin mit Chinin behandelt. Nun kam es plötzlich zu Parästhesien, Zittern und Schwäche in den Beinen. Es wurde eine Nervenentzündung vermutet, eventuell wegen Überdosierung von Chinin. Schließlich wurde die Patientin nach Zürich auf die Medizinische Poliklinik überwiesen, wo kein organischer Befund erhoben werden konnte.
    Die Patientin kam in Behandlung unserer Psychotherapiestation. Die Behandlung gestaltete sich schwierig, da die Patientin keinerlei Konfliktbewusstsein aufbrachte. In ihrem Verhalten war sie äußerlich angepasst, allzeit unbeteiligt freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit, dankbar und anspruchslos. Wegen ihrer Knieschwäche konnte sie nur in Begleitung spazieren gehen, wobei – um Wahrung der Autonomie bedacht – sie sich aber weigerte, sich bei jemandem einzuhängen. Insbesondere verleugnete die Patientin irgendwelche Eheschwierigkeiten. Die Migräneanfälle traten mehrmals während der therapeutischen Gespräche über das Thema Ehe auf. Die Symptomatik diente der Patientin dazu, den Krankheitsaufenthalt in der Schweiz zur definitiven Rückkehr auszubauen. Sie kaufte sich hier eine eigene Wohnung, schrieb dem Mann, sie ertrage die klimatischen Verhältnisse in Afrika nicht mehr weiter. Sie setzte ihn so unter Druck, wegen ihrer Krankheit nachzugeben und in die Schweiz zurückzukehren.
    Typisch an diesem Beispiel ist, wie die Patientin viele Ärzte zum somatischen Mitagieren gewinnen konnte, sodass sie intensive und eingreifende Behandlungen erhielt, ohne dass je eine klare somatische Diagnose gestellt werden konnte.

9.7. Formen von psychosomatischen Paar-Erkrankungen
    Etwas vereinfachend können in Anlehnung an M ITSCHERLICH drei Aspekte von psychosomatischen Symptombildungen unterschieden werden, die ich in ihrer kommunikativen Bedeutung darstellen möchte:
    das Symptom in seinem Konversionsaspekt:
Hier ist der Körper das Medium, um einen unaussprechbaren Konflikt symbolhaft darzustellen.
das Symptom als Affektäquivalent:
Hier ist der Körper das Medium, um einen starken Affekt abzureagieren.
das Symptom als Stressbegleiter:
Hier dekompensiert der Körper unter der starken inneren Spannung.
    Im konkreten Fall können sich diese drei Aspekte in verschiedener Akzentsetzung mischen.
     
    a)
Das Symptom in seinem Konversionsaspekt
    Der Konversionsaspekt bezieht sich auf das Symptom als symbolhaften Ausdruck eines unbewältigten Konfliktes. Das körperliche Symptom stellt eine bewusst nicht zugelassene Verhaltensweise in einer Gebärde oder einer «Organsprache» dar. Das Verhalten des Kranken ist oft appellativ, gelegentlich aber auch auffallend indifferent. Die Gebärde des Konversionssymptoms ist eine konfliktspezifische Kommunikation gegenüber dem Konfliktpartner. Das Unbewusste des Symptomträgers spricht im Symptom zum Unbewussten des Konfliktpartners. Häufig hat das Symptom einen Charakter, der die divergierenden Ansprüche beider Konfliktpartner kompromisshaft miteinander versöhnt.
    Im Blepharospasmus, im krampfartigen Lidschluss, drückt ein Ehemann zum Beispiel aus: «Ich kann die Augen nicht offen halten.» Er unterhält eine heimliche Liebschaft und hat Angst, der Frau «in die Augen zu sehen». Er will aber auch selbst seiner persönlichen Situation nicht mit offenen Augen begegnen.
    Ein Mädchen bricht an der Haustür mit einer hysterischen Beinlähmung zusammen und erreicht so, dass der junge Mann im Erdgeschoss, in den sie sich heimlich verliebt hat, sie auf seinen Armen in ihre Wohnung im dritten Stock hinauftragen muss. Mit

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