Die Zweierbeziehung
Bewältigung ihres eigenen sexuellen Rollenkonfliktes nicht ermöglicht, weil er selbst in der männlichen Rollenerfüllung versagt und ihr damit auch die Identifikation mit der eigenen Geschlechtsrolle erschwert?
Hier hilft uns zunächst die
Kommunikationstheorie
einen wichtigen Schritt weiter. Sie führt uns von der individualistischen Betrachtungsweise der Psychoanalyse zur Erfassung einer Partnerbeziehung als ganzheitliches System. Die Verhaltensweisen von Konfliktpartnern sind regelkreisartig aufeinander bezogen. Ein Kreis hat weder Anfang noch Ende. Wir können nicht mehr davon ausgehen, das Verhalten des einen Partners verursache das Verhalten des anderen, weil das Verhalten des ersteren bereits durch das Verhalten des zweiten mitbedingt ist. Ursache und Wirkung, Reiz und Reaktion lassen sich nicht mehr voneinander trennen. Auf unser Beispiel übertragen: Wir können nicht sagen, dass die Impotenz des Mannes die Folge des Kastrationsverhaltens der Frau ist, genauso wenig wie wir sagen können, das Kastrationsverhalten der Frau habe seine Ursache in der Impotenz des Mannes, obwohl jeder von beiden Partnern derartige Behauptungen aufstellen wird und vordergründig aus seiner Sicht teilweise recht hat. Wir werden dem Sachverhalt aber eher gerecht mit der Interpretation, dass sich Mann und Frau in ihrem Verhalten gegenseitig so verstärken, dass daraus die Impotenz des Mannes als partnerbezogenes Symptom resultiert. «Je fordernder die Frau, desto impotenter der Mann, und je impotenter der Mann, desto fordernder die Frau.»
Die Kommunikationstheorie verzichtet auf die Erforschung der komplexen Beschaffenheit des Individuums, weil dazu letztlich unbeweisbare Hypothesen über innerseelische Kräfte und Konflikte herangezogen werden müssten (W ATZLAWICK , B EAVIN und J ACKSON ). Der Kommunikationstherapeut interessiert sich nicht für die Motivation zu einer bestimmten Verhaltensweise, für die Begründung einer neurotischen Fehlhaltung in der frühkindlichen Entwicklung und setzt sich deshalb therapeutisch auch nicht das Ziel, dem Individuum oder dem Partner mittels Deutungen Einsicht in die Hintergründe seines Verhaltens zu verschaffen. So würde ein Kommunikationstherapeut die Problematik dieses Ehepaares anhand ganz konkreter Kommunikationssituationen bearbeiten, wie zum Beispiel in folgender Begebenheit: Das Ehepaar war zu Beginn der Therapie durch die stationäre Behandlung der Ehefrau äußerlich getrennt. Als der Mann nach mehreren Wochen erstmals seine Frau besuchte und mit ihr einen größeren Spaziergang unternahm, wollte er im Walde mit ihr sexuell verkehren. Er erwies sich aber wieder als impotent. Seine Frau war darüber aufgebracht und schleuderte ihm entgegen: «Ich will mit dir keine sexuellen Beziehungen mehr, solange du mir nicht garantieren kannst, dass es bei dir klappt. Lieber verzichte ich ganz darauf, als dass du mir noch einmal eine derartige Enttäuschung bereitest.» Kommunikationstherapeuten würden darauf verweisen, dass durch eine derartige Bemerkung die Erwartungsangst des Mannes vor sexuellem Versagen ganz wesentlich gesteigert werde. Es würden Kommunikationsübungen und Verhaltensalternativen durchgespielt, die dem Manne in angstfreier Atmosphäre ermöglichen könnten, das Zusammensein mit der Frau zu genießen, ohne unter dem Druck zu stehen, sich dabei als potent ausweisen zu müssen. Der Ehekonflikt würde so vor allem auf eine sexuelle Kommunikationsstörung reduziert und als solche behandelt.
Vielleicht wäre das Paar von der Wiederherstellung der sexuellen Funktionsfähigkeit durchaus befriedigt und verstünde sich danach auch in nichtsexuellen Belangen besser als zuvor. Vielleicht ist aber die sexuelle Störung die Darstellung einer tieferen und umfassenderen Beziehungsstörung. Vielleicht ärgert sich die Frau nicht nur über die Impotenz des Mannes, sondern sie fühlt sich aus unbewussten Gründen dazu gedrängt, diese Impotenz bei ihm auszulösen, weil sie selbst Angst vor der sexuellen Hingabe hat, sich mit der weiblichen Rolle nicht identifizieren kann und in der Potenz Ausdruck männlicher Überlegenheit und männlicher Privilegien sieht, die sie nicht akzeptieren mag, ja, die sie stören möchte. Selbst wenn die sexuelle Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist damit noch nicht gesichert, dass die Partner ihre Sexualbeziehungen auch genießen können. Dazu wäre die Aufarbeitung der Hintergründe, die zu der Sexualstörung geführt haben,
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