Die Zweierbeziehung
ohne dass er zuvor über die Art der Operation informiert worden sei. Als die Schwestern und Ärzte sich an seinem Glied zu schaffen machten, sei er von panischer Angst befallen worden, man schneide ihm das Glied ab. Seine Mutter habe daneben gestanden und gellend gelacht.
Die
psychoanalytische Interpretation
würde etwa folgenden Aspekten besondere Beachtung schenken: Mit der Eheschließung wurden die Inzest- und Kastrationsphantasien aktiviert. Der Patient übertrug das innere Objekt, das heißt die internalisierten Erfahrungen mit einer fordernden und kastrierenden Mutter auf das Realobjekt, das heißt auf die Frau, die er nur als ebenso kaptativ und kastrierend wie seine Mutter wahrnehmen konnte. Als die elterliche Ehe geschieden wurde, stand er in der Pubertät. In seiner Vorstellung rückte er damit der Mutter gegenüber in die Position des Ersatzgatten. Die Identifikation mit dem impotenten Vater wurde gefördert durch Schuldgefühle, da er diesen in seiner Phantasie aus der elterlichen Ehe verdrängt hatte. Unter den konkreten Anforderungen der Realität (des intimen Zusammenlebens in der Ehe) und den Ansprüchen des Objektes (seiner Frau) wird sein «Kastrationskomplex» aktiviert. Es kommt zur Impotenz, und zwar schicksalhaft, unabhängig vom Verhalten des äußeren Realobjektes. Unter den starken Schuldgefühlen und dem Inzestverbot des Über-Ichs sowie unter dem unsicheren männlichen Ich-Ideal müssen die phallischen Strebungen vom Ich abgewehrt werden.
Nun verhielt sich die Ehefrau aber keineswegs wie ein Neutrum oder ein Objekt, sondern eindeutig real «kastrierend». Nachdem sie äußerlich eine Zeit lang von ihrem Mann getrennt war, besuchte er sie und versagte prompt erneut beim Geschlechtsverkehr. Die Frau schickte ihn deswegen mit Schimpf und Schande davon.
Sie war eine etwa gleichaltrige Studentin der Naturwissenschaft, älteste von drei Töchtern. Wegen ihrer außergewöhnlichen Körpergröße wurde sie in der Schule häufig ausgelacht und war im Vergleich zu ihren Schwestern bei Männern weit weniger erfolgreich. Auch ihre Mutter tyrannisierte die Familie. Ihr Vater war ein recht farbloser Geschäftsmann, der sich oftmals bei der ältesten Tochter ausgeweint hatte. Die Mutter versuchte den Mann vor den Töchtern lächerlich zu machen und diese gegen ihn einzunehmen.
Ohne akzeptables mütterliches oder väterliches Leitbild entwickelte die junge Frau ein schlechtes Identitätsgefühl für die eigene weibliche Rolle wie auch für die männliche Rolle des Partners. In der Ehe verhielt sie sich sexuell kapriziös, wollte immer das Gegenteil von dem, was der Mann wollte, verunsicherte und verhöhnte ihn in seiner Männlichkeit und jagte ihm Angst ein, eine Frau nie richtig verstehen zu können.
Die frühe, psychoanalytisch geprägte
Familientherapie
würde diesem Ehebeispiel folgende Interpretation geben: Dieser Frau gelang es trotz forciertem Bemühen nicht, sich mit der weiblichen Geschlechtsrolle zu identifizieren. Sie rivalisierte in versteckter Weise mit dem Mann um die männliche Rolle, und zwar nicht so, dass sie selbst einen offenen Anspruch auf diese Rolle erhoben hätte. Vielmehr wollte sie dem Mann zeigen, dass er ein Versager in der männlichen Rolle und im Gebrauch seines männlichen Organs sei und folglich nicht mehr tauge als sie selbst. Indem sie den Mann impotent machte, konnte sie ihren Konflikt bezüglich der eigenen sexuellen Identität in der Verdrängung halten und musste sich nicht mit ihrer Problematik auseinandersetzen. Da ein (männlicher) Therapeut dazu neigt, sich mit dem Mann, der sich als Patient an ihn wendet, zu identifizieren, gelingt der Nachweis leicht, dass der Mann für die Frau deren «Kastrationskomplex» austragen müsse, dass er das Opfer der Frau sei, ihr stellvertretender Symptomträger. Der eigentlich Kranke sei nicht der impotente Mann, sondern die sexuell nicht manifest gestörte Frau. Nicht er gehöre in Behandlung, sondern die Frau als der eigentlich pathogene Herd der Paarbeziehung.
Mir scheint sowohl die erste wie die zweite Interpretation zwar in sich richtig, gesamthaft aber greift jede dieser Konzeptionen zu kurz. Wir müssen uns fragen: Weshalb wählt sich dieser mit Ängsten vor «männlichem» Versagen belastete Mann ausgerechnet eine Frau, die aufgrund ihres eigenen ungelösten Konfliktes dazu neigt, den Mann in seiner Potenzunsicherheit zu verstärken? Andererseits: Weshalb wählt sich diese Frau ausgerechnet einen Mann, der ihr die
Weitere Kostenlose Bücher