Die Zweierbeziehung
Beziehung zum Objekt wurde dann vom systemischen Ansatz infrage gestellt. Es zeigte sich, dass sich manche individuelle Störungen gar nicht behandeln ließen, wenn nicht das pathogene Milieu mitbehandelt wurde.
Manche Therapien scheiterten, weil der Patient dem pathologischen Einfluss seiner Angehörigen nicht entzogen werden konnte, weil die Angehörigen die Therapie sabotierten und verunmöglichten oder weil der Patient nach der bloßen äußeren Entfernung aus dem Milieu sich nicht als lebensfähig erwies und sich innerlich nicht aus der konfliktträchtigen Verstrickung mit seinen Angehörigen zu lösen vermochte. Damit wurden die realen Objekte, das heißt die Angehörigen, zum Zentrum wissenschaftlichen Interesses und therapeutischer Bemühungen, aber oft mit einer deutlich anklagenden Grundhaltung der Therapeuten diesen gegenüber. Die Konzepte der Familientherapie wurden zunächst aus Untersuchungen von Familien Schizophrener gewonnen. Es kam zu Äußerungen, die Schizophrenie des Kindes sei die einzig mögliche Reaktion im unhaltbaren zwischenmenschlichen Kontext, den ihm seine Eltern anbieten (B ATESON , J ACKSON , H ALEY und W EAKLAND ). Das Kind werde deshalb schizophren, weil es einem langwierigen Bestreben der Eltern ausgesetzt ist, es verrückt zu machen (S EARLES ). Die Eltern schaffen Situationen, die bei ihren Kindern Psychosen verursachen, während sie sich selbst damit vor Symptomen verschonen. Es handelt sich dabei um externalisierte oder agierte Psychosen der Eltern. Um sich selbst vor dem Ausbruch einer Psychose zu bewahren, erzeugten die Eltern die Psychose im Kind. Sie schickten das Kind als vorgeschobenen Patienten in die Behandlung. Das Kind sei der stellvertretende Patient der Eltern und der Familie. Das Kind sei Opfer der projektiven Bestrebungen der Eltern, die ihre krankhaften Anteile abspalten und sie im Kind austragen. Die Kränksten seien diejenigen, die zuletzt in Behandlung kommen. Das Kind werde zum Erfüller von gewissen, ihm von den Eltern zugeschobenen Rollen, es werde zum Substitut oder Delegierten für eigene nicht ausreichend entfaltete oder abgelehnte Aspekte des Selbst.
Gewisse Darstellungen vermitteln den Eindruck, dass das Kind als unbeschriebenes Blatt gesehen wird, als eine formbare Masse, die widerstandslos durch Elterneinflüsse geprägt wird: das Kind – ein den Eltern ausgeliefertes Opfer, das ihnen als den Übermächtigen nichts entgegenzusetzen hat; das Kind – ein Objekt, an dem die Eltern sich abreagieren können, an dem sie ihre Neurose auszutragen vermögen, durch das sie sich selbst stabilisieren; das Kind als Abspiegelung und Präsentiersymptom der elterlichen Neurose.
Also nicht mehr so sehr der Patient ist der Kranke, sondern die klinisch gesunden Angehörigen sind die eigentlichen Kranken, die es aber verstehen, ihre Krankheit im Patienten auszutragen. Diese der frühen Familientherapie entstammenden Beobachtungen wurden dann von manchen Autoren auf die Ehetherapie übertragen. Der dominante Ehepartner erzeuge die Krankheit des Patienten und trage seine neurotischen Störungen in ihm aus. Solche Beschreibungen finden wir zum Beispiel in der Literatur über Ehefrauen von Alkoholikern. G ROTJAHN (1960) führt Beispiele psychosomatischer Krankheiten an, wo bei Herzinfarktpatienten es der Frau gelungen sei, langsam ihre Hände um die Koronarien des Mannes zu schließen und diese zusammenzudrücken. Nachdem sie zuvor über Jahre ein erbitterter, kalter und oftmals grausamer Partner gewesen sei, werde sie in dem Moment, in dem der Mann erkranke, zur hingebungsfähigen Pflegerin. Dabei zeigten solche Frauen selbst Persönlichkeitszüge, die auf ein ernsthaftes Koronarleiden hinzielen.
Es mag stören, wenn ich hier pauschal von «Familientherapie» spreche, da es in diesem stürmisch sich entwickelnden Gebiet recht unterschiedliche Richtungen gibt. Immerhin finden sich die geschilderten Gesichtspunkte in vielen der frühen, aber auch in neueren Arbeiten. In diesen Publikationen entsteht der Eindruck, die psychologische Einbahnstraße werde nun in umgekehrter Richtung gesehen, nämlich in der Einwirkung des Objektes auf das Subjekt. Es wird untersucht, was die Angehörigen mit dem Patienten machen, aber man fragt nicht oder zu wenig, was die Patienten mit den Angehörigen machen. Jeder Kinderpsychiater kann bestätigen, dass nicht nur die Eltern das Kind prägen, sondern dass das Kind von Geburt an einen außerordentlich prägenden Einfluss auf das
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