Die Zweierbeziehung
Verhalten der Eltern hat. Das trifft noch viel deutlicher auf die Ehe zu, wo man darüber hinaus fragen muss: Weshalb hat sich denn der Patient einen Partner gewählt, der auf ihn einen derart pathogenen Einfluss ausüben kann? Es wäre also zu untersuchen, inwiefern der Patient das pathogene Verhalten der Angehörigen selbst provoziert und verstärkt und ihnen diese pathogene Rolle zuschiebt.
Häufig fühlen sich die Eltern von der Erziehung ihrer Kinder überfordert und wären bereit, aus der Erkrankung ihres Kindes etwas zu lernen, sofern die Therapeuten ihre bereits bestehenden Schuldgefühle nicht noch zu diabolischer Bösartigkeit emporstilisierten und damit ihre rigide Abwehrhaltung notwendig machten, um nicht im verletzten Selbstgefühl vernichtet und der Grundlagen der eigenen Existenz beraubt zu werden. Gerade bei Adoleszenten konnte ich häufig beobachten, dass nicht nur die Eltern das Kind als narzisstisches Substitut missbrauchen, sondern dass das Kind ein eigenes Interesse hat, den Eltern als Substitut zu dienen.
Heute wird grundsätzlich die Notwendigkeit erkannt, sich aus der individualistischen Sicht zu lösen und einen Partnerkonflikt weder einseitig dem Fehlverhalten des einen noch des anderen zuzuschieben, sondern die Partnerschaft als Ganzes, als System zu betrachten, wie es die Kommunikationstherapie lehrt. Die Kommunikations- und Systemtherapeuten sind oft bemüht, sich von der psychoanalytischen Erfassung von Partnerkonflikten zu distanzieren, legen sich damit jedoch zu ihrem eigenen Nachteil Beschränkungen auf, die ihnen den Vorwurf der Oberflächlichkeit und bloßen Verhaltensmanipulation eintragen.
Ich möchte nun die genannten theoretischen Ansätze auf ein konkretes Beispiel anwenden und daran das Konzept der Kollusion entwickeln, das heißt den Ansatz, Ehekonflikte als gemeinsame neurotische Störung der Konfliktpartner zu sehen.
Vorausgeschickt sei, dass im vorliegenden Beispiel der Anlass zur Behandlung schwere Konflikte bezüglich männlicher und fraulicher Rollenerfüllung waren, die hier deskriptiv als neurotische Störungen hingestellt werden, ohne sie nach deren gesellschaftlichen Verursachung zu hinterfragen. Ich verwende auch die auf diese Störungen bezogenen psychoanalytischen Termini im vollen Bewusstsein ihrer begrenzten Gültigkeit.
Beispiel 2: Ernst, ein junger Mann, meldete sich verzweifelt bei mir, weil er befürchtete, von seiner Frau wegen Impotenz verlassen zu werden. Seine Frau war zu dieser Zeit psychiatrisch hospitalisiert, nachdem sie unter der ehelichen Belastung eine funktionelle Beinlähmung entwickelt hatte. Das Paar war seit einem Jahr in kinderloser Ehe verheiratet, lebte aber vor der Heirat bereits ein halbes Jahr zusammen. Es handelte sich um einen jungen Ingenieur. Er war jüngster und einziger Sohn neben zwei Schwestern. Sein Vater war ebenfalls Ingenieur, der zeitlebens an Potenzstörungen gelitten hatte und von der Mutter deswegen vor den Kindern verhöhnt worden war. Schließlich wurde die elterliche Ehe geschieden, als der Patient in die Pubertät kam. Seine älteren Schwestern waren beide geschieden, weil sich auch ihre Ehemänner als impotent erwiesen hatten, wobei die jüngere Schwester jetzt in zweiter Ehe mit dem ersten Mann der älteren Schwester lebte.
Ernst hatte also kein Vorbild einer geglückten Beziehung, vielmehr musste er sehen, dass sowohl bei seiner Mutter wie bei seinen Schwestern die Impotenz des Mannes zur Ehescheidung geführt hatte.
Seine Mutter wird als egozentrische, besitzergreifende und herrische Frau geschildert. Sie wollte ihm immer alle Lebensschwierigkeiten abnehmen und alle Probleme für ihn lösen, womit sie ihn stark an sich band. Sie verunmöglichte ihm die adäquate Ablösung und die Bewältigung des Ödipuskomplexes, indem sie Inzestphantasien real anregte. Wenn sie ein Bad nahm, musste sich der Junge zu ihr setzen und aus einem Buch vorlesen. Wenn er sich wusch, musste er bis in die Pubertät seinen Penis von ihr auf Sauberkeit inspizieren lassen. Ein besonderes Trauma bedeutete für ihn eine Phimoseoperation im 8. Altersjahr. Noch als er Student war, habe seine Mutter mit ihm Phantasien ausgesponnen, sie könnten doch ihr Leben zu zweit auf einer einsamen Insel verbringen. Der junge Mann litt bis zum 18. Altersjahr an Bettnässen. In der eigenen Ehe reagierte er nun mit Potenzstörungen. Er sei von der Mutter ins Spital geführt und dort von den Krankenschwestern auf den Operationstisch gebunden worden,
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