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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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strebt das Kind nach dem, was Annehmlichkeit und Lust verschafft, und vermeidet, was Schmerz und Unlust bringt. Im Laufe der Entwicklung wird das Lustprinzip allmählich durch die Ansprüche der Realität umgestaltet. Das Kind muss die besonderen Anforderungen der Personen in der äußeren Umgebung kennenlernen, die befriedigt werden müssen, damit seine Bedürfnisse gestillt werden können. Auf der Basis des primitiven Lustprinzips weiterzuarbeiten würde misslingen, denn wenn Bemühungen um Befriedigung mit den Bedürfnissen und Erwartungen anderer, von denen das Kind abhängt, in Konflikt geraten, ergeben sich daraus Bestrafung und Zurückweisung. Das Kind muss allmählich und unter Schmerzen lernen, einige seiner Wünsche aufzuschieben oder sogar auf sie zu verzichten, um eine befriedigende Beziehung zur Umgebung aufrechtzuerhalten. Lust und Befriedigung von Bedürfnissen werden besser gesichert, wenn die äußere Realität, in der Befriedigung erreicht werden kann, in Rechnung gestellt wird. Wichtig für diese Entwicklung ist die Fähigkeit vorauszuahnen, was Lust bringen und was Schmerz, Frustration oder Enttäuschung zur Folge haben wird. Diese Anforderung wird zu einer mächtigen motivierenden Kraft, die Umgebung kennen- und verstehen zu lernen. Sie stellt einen wichtigen Bestimmungsfaktor des intellektuellen Wachstums dar.
     
    Die orale Mutter-Kind-Kollusion
    Zwischen der Mutter und dem Kind kann sich bereits in der frühesten Lebensphase ein konfliktreiches Zusammenspiel ergeben, das den Boden für spätere Ehestörungen legt.
    Wie erwähnt lebt der Säugling zunächst ganz nach dem Lustprinzip und gibt seine Nahrungsbedürfnisse unmittelbar durch penetrantes Schreien und gieriges Einverleiben kund. Dieses Verhalten wird in der Mutter, wenn sie selbst die Entwicklungsanforderung der oralen Phase nicht bewältigen konnte, Ängste und Abwehrmaßnahmen hervorrufen. Sie befürchtet, vom Kind aufgefressen zu werden, sie beneidet das Kind, das seine Bedürfnisse so ungehemmt kundtun und damit unmittelbare Befriedigung erreichen kann. Vor allem wenn sie den Übergang vom Lustprinzip zum Realitätsprinzip selbst nicht bewältigt hat, wird sie dazu neigen, das Kind bald oral zu verwöhnen und bei der geringsten Bedürfnisspannung sogleich zu befriedigen, um es ebenso unmittelbar und vom Kind her uneinfühlbar zu frustrieren, wenn bei ihr die geringste Unlustspannung gegen die Bedürfnisstillung des Säuglings auftritt. Da sie selbst keinen eigenen Rhythmus hat und selbst Bedürfnisse nicht aufzuschieben vermag, ist sie von Schuldgefühlen und dem Eindruck, erzieherisch zu versagen, geplagt. In Reaktion auf ihren Ärger und ihre Wut dem Kind gegenüber wird sie es eventuell in übersteigerter Verwöhnung fast ersticken. Das Kind kann so die Fähigkeit nicht entwickeln zu warten. Es lernt nicht, zwischen die Entwicklung seines Hungerbedürfnisses und der Stillung dieses Bedürfnisses einen Aufschub einzuschalten und das Vertrauen zu bilden, dass zu gegebener Zeit sein Missbehagen von Befriedigung gefolgt sein wird. Es lernt auch nicht, seine Mutter aus dem Gesichtsfeld zu entlassen, ohne von Angst erfasst zu werden, genauso wie die Mutter das Kind nicht aus ihrem Gesichtskreis entlassen kann, ohne von Ängsten beunruhigt zu sein, es werde ihm etwas passieren. Es bildet sich ein Circulus vitiosus: je nervöser und gespannter die Mutter, desto weinerlicher und abweisender das Kind, und je weinerlicher und abweisender das Kind, desto nervöser und gespannter die Mutter. Der Säugling verweigert eventuell die Brust und ist trinkfaul, weil er die Spannung von der Mutter her spürt. Die Mutter reagiert auf diese Zurückweisung ihrerseits mit erhöhter Spannung, die sich wiederum auf den Säugling überträgt. E RIKSON (1968) schreibt: «Als Beispiel für den Verlust der wechselseitigen Regulierung mit der mütterlichen Versorgungsquelle kann das gewohnheitsmäßige Entziehen der Brustwarze während des Stillens dienen, weil die Mutter gebissen wurde oder fürchtet, gebissen zu werden. In solchen Fällen kann der orale Apparat, anstatt sich entspanntem Saugen hinzugeben, vorzeitig einen Beißreflex entwickeln. Unser klinisches Material vermittelt häufig den Eindruck, als ob solch eine Situation das Modell für eine der tiefgreifendsten Störungen der interpersonalen Beziehung darstellte. Das Individuum hofft zu bekommen, die Quelle wird entzogen, worauf reflektorisch versucht wird, festzuhalten und zu nehmen, aber je

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