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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Gehaltenwerden, scheuen aber meist vor stabilen Beziehungen zurück, weil sie sich in ihrem schlechten Selbstwertgefühl einer derartigen Beziehung nicht gewachsen fühlen. Andere, besonders hysterisch Strukturierte, haben einen eigentlichen Reizhunger. Um ihre innere Leere aufzufüllen, müssen sie die Umgebung in dauernder Erregung halten durch all das, was sie in Szene zu setzen vermögen. Sie fallen gleich in ein depressives Loch mit maßloser Eifersucht, wenn sie nicht dauernd im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
    Oft lassen sich bei oralen Charakteren, besonders bei Frauen, bulimische Attacken nachweisen, in denen sie aus einem Gefühl der Leere alles Essbare bis zum Erbrechen verschlingen, ein Vorgang, der als Äquivalent einer sexuellen Triebbefriedigung erlebt werden kann.
    Menschen mit oralem Charakter leiden an einem Gefühl der Wertlosigkeit und an tiefer Resignation, aus der heraus die Entfaltung irgendwelcher Aktivität zur Überwindung der passiven Oralität sinnlos, weil unerreichbar, empfunden wird. Sie halten sich für nicht liebenswert und verachten sich selbst in ihrem
passiv-regredierten Verhalten.
Der Weg zu einer reiferen, aktiveren Haltung kann ihnen zusätzlich durch einen unbewältigten Ödipuskomplex verbaut sein, der in ihnen generell Angst vor dem Erwachsenwerden erzeugt und ihnen sowohl die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil wie die Vorstellung libidinöser Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteil verbaut. Die orale Bedürfnisäußerung steht dann für die sexuelle. Die unerschöpfliche orale Anspruchshaltung kann auf den Partner eine «kastrierende» Wirkung ausüben. Er fühlt sich als Versager in der Rolle des Spenders, was sich auch in sexuellem Versagen ausdrücken kann.
    Der orale Charakter ist in seinen Partnerbeziehungen ambivalent. Einesteils sucht er Partner, die unbegrenzt spenden und von denen er sich passiv verwöhnen lassen kann. Andererseits fürchtet er, von diesen abhängig zu werden und die Frustration der Zurückweisung nicht verkraften zu können. Er hasst oftmals die Partner, die seinen Wünschen entsprechen, weil sie ihn gerade durch ihr Spenden in seinem Selbstgefühl kränken.
     
    Der mütterliche Pflegecharakter
    Er bildet die komplementäre Ergänzung zum oralen Charakter und verbindet sich deshalb auch bevorzugt mit ihm.
    Es handelt sich um Menschen, die anspruchslos und bescheiden erscheinen. Schon in ihrer Kleidung verraten sie oft einen starken Hang zu Wärme und Geborgenheit: dicke Pullover, Wollschals, Hirtenmäntel in warmen Farben usw. Sie verstehen es, unter erschwerten Bedingungen Geborgenheit zu kreieren, zum Beispiel beim Kampieren in Regen und Schnee. Sie lieben die Wärme, die vom Kerzenlicht ausgeht, und setzen sich gerne ums Feuer, um Lieder mit der Gitarre zu begleiten. Ihr Wohnstil, auf den sie Wert legen, ist geprägt von Holz und Wolle, betont gemütlich und «heimelig».
    Im Sozialverhalten fallen sie vor allem dadurch auf, dass sie sich für Hilfeleistungen anbieten. Typische Vertreter finden sich denn auch unter den Sozialberufen, unter Krankenschwestern, Sozialarbeitern, Ärzten und Psychotherapeuten, und zwar unter Männern fast ebenso häufig wie unter Frauen. Sie sind in ihren Hilfeleistungen kompetent und tüchtig, und scheinbar tun sie einem alles zuliebe, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten. Die Art, wie sie auf jede Schwierigkeit, Schwäche und Hilflosigkeit eingehen, und der Eifer, mit dem sie sich zu Hilfeleistungen antragen, stimuliert den Kontakt vor allem zu jenen Leuten, die nach Hilfe suchen. Die Ebene der Hilfe- und Pflegeleistungen erweist sich oft als einzige Kommunikationsbasis, die zum Tragen kommt. Wird keine Hilfe benötigt, so droht die Beziehung auseinanderzufallen. Die Art ihrer Hilfeleistung wirkt regressionsfördernd. Sie fühlen sich einem Partner vor allem dann gewachsen, wenn er schwach und klein bleibt. Gerade bei Pflegerinnen lässt sich oft beobachten, dass sie am Patienten mehr Freude haben, solange er völlig hilflos im Bett liegt, als wenn er seine Autonomie zurückgewonnen hat. Wie sehr diese bemutternde Haltung mit eigenen infantilen Bedürfnissen gekoppelt ist, zeigt sich nicht selten in der Zimmerausstattung von Krankenschwestern, die in Plüschtieren und Teddybären einen speziellen Akzent findet.
    Bei näherer Kenntnis fallen bei oralen Pflegecharakteren drei Aspekte auf: Minderwertigkeitsgefühle, Mutterabhängigkeit und Unfähigkeit, eigene Ansprüche zu

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