Die Zweierbeziehung
wie ein Schoßhündchen verhalten.
Beispiel 4 : Die Frau ersuchte um Behandlung wegen Depressionen in unglücklicher Ehe. Sie war seit zwei Jahren verheiratet mit einem Mann, der zur Zeit der Bekanntschaft eben aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er wegen wiederholter Unterschlagungen und Kleindiebstähle eine Strafe hatte absitzen müssen. Er hatte zuvor ein liederliches und unstetes Leben geführt, im Milieu den großen Herrn gespielt und als Hochstapler dauernd über die eigenen Verhältnisse gelebt. Sie bildete schon rein äußerlich einen grotesken Gegensatz zu ihm: Während er geckig gekleidet war und attraktiv aussah, wirkte sie unansehnlich und machte sich unvorteilhaft auf. Sie hatte zuvor noch kaum Erfahrungen mit Männern und war im Kontakt gehemmt und schüchtern. Sie akzeptierte, dass er sich in der Ehe überhaupt nicht nach ihr zu richten habe. Das Wochenende und die Abende verbrachte er zum großen Teil wie früher in Bars, wo er mit anderen Frauen schäkerte und für die eigene Selbstbestätigung dauernd Eroberungsarbeit leistete. Einmal steckte er die Frau mit einer Gonorrhoe an. Oder er begab sich in der Freizeit zum Fischen, wo er allein sein musste, um seinen grandiosen Träumen nachzuhängen. Die Frau akzeptierte diese Frustrationen lange Zeit, ohne aufzumucken, und besorgte in seiner Abwesenheit den Haushalt, da sie voll berufstätig war. Sie lebte in der hintergründigen Phantasie, aus ihm einen großen Mann gemacht und ihn aus einem Leben der Unstete gerettet zu haben. Tatsächlich hatte er sich beruflich unter ihrem Einfluss stabilisiert und in Positionen hochgearbeitet, die deutlich über seinen ausbildungsmäßigen Voraussetzungen standen. So hatte die Frau die Befriedigung, sich in ihm zu verwirklichen. Allmählich aber bekam sie zunehmende Zweifel, ob diese Form des Zusammenlebens tatsächlich richtig sei.
In der Therapie wurde versucht, die Gegensätzlichkeit des Paares zu bearbeiten. Die Frau entwickelte Phantasien, dass auch sie sich Freiheiten nehmen und gelegentlich allein ausgehen könnte. Der Mann wehrte sich vehement dagegen: «Ich habe dich geheiratet, weil du mein besserer Teil bist. Wenn du nun gleichziehen willst, so bräuchte ich nicht mehr verheiratet zu sein.» Er benützte die Frau rein funktionell als Substitut seines Über-Ichs, das ihm zur Stabilisierung seines Selbst dienlich war. Er betonte, wenn die Frau sich weigern sollte, diese Funktion weiterhin auszufüllen, sei die Ehe für ihn gegenstandslos geworden. Umgekehrt benützte aber auch die Frau den Mann als Substitut ihrer Triebhaftigkeit und ihres schwer gestörten narzisstischen Selbstgefühls. Sie litt an schweren Minderwertigkeitsgefühlen und fühlte sich durch den Erfolg des Mannes und durch die Aufgabe, die sie an ihm erfüllte, persönlich aufgewertet.
Im Laufe der Behandlung geriet der Mann in zunehmende Bedrängnis. In seinem schlechten Selbstgefühl ertrug er die Kritik der Frau an der ungleichen Verteilung von Rechten und Pflichten nicht. Er wurde immer nervöser und drohte auch beruflich zu dekompensieren, sodass er die Paartherapie abbrach. Daraufhin wurde die Ehe vorübergehend getrennt. Die Paartherapie hatte ihm aber doch die Einsicht in die Notwendigkeit einer Psychotherapie vermittelt. Er begab sich in psychoanalytische Therapie, die Frau in eine analytische Gruppentherapie. Beide lernten in der Therapie, sich klarer voneinander abzugrenzen, ohne sich gegeneinander behaupten zu müssen.
Zusammenfassende Aspekte der narzisstischen Kollusion
Der gemeinsame Widerstand des Paares richtet sich dagegen, ihre Vorstellung infrage stellen zu lassen, das Ideal einer Liebesbeziehung wäre die Erlangung von Urharmonie in der Verschmelzung. Beide sind sich im Grunde einig, dass versucht werden sollte, diesen Zustand zu erreichen, indem sich der Komplementärnarzisst zugunsten des Narzissten aufgebe, der seinerseits dafür die Idealerwartungen des Komplementärnarzissten zu erfüllen habe. Die Unmöglichkeit, den Zustand der idealisierten Verschmelzung zu erreichen, erfüllt beide Partner mit Wut und Enttäuschung. In der Therapie erwarten sie im Grunde, dass sich diese Wunschvorstellungen doch noch erfüllen ließen.
Vordergründig aber versucht der «Narzisst» den Komplementärnarzissten in der Therapie fortwährend zu kränken, zu frustrieren und durch Entwertungen auf Distanz zu halten aus Abwehr gegen die ihn bedrängenden Schuld- und Schamgefühle, weil er die gemeinsamen Ideale verraten
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