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Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel

Titel: Die zweite Fahrt zur Schatzinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Leeson
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fallenließ und sich wie ein Mädchen auf dem ersten Ball aufführte
und zu dem Platz zu seiner Rechten führen ließ. Ich bemerkte noch etwas
anderes. Ihr schwarzes Kleid war verschwunden, sie war in Hellblau und sehr
hübsch dazu. Oho, dachte ich, weg mit der Trauer und auf in die Arena.
    Argent ließ Master Jim mit
gleichem Zeremoniell auf der anderen Seite von Lady Alice Platz nehmen,
schnippte einen Diener mit den Fingern herbei und sagte: „Sorgt dafür, daß Mr.
Hawkins Rosinen auf dem Glasteller hat und den besten Madeira.“ Master Jim
schwieg, und ich konnte sehen, daß Mr. Argent eine harte Aufgabe vor sich
hatte, wenn er ihn in gute Laune versetzen wollte. Aber war er beleidigt? Kein
bißchen. Während er Mr. Trelawney und den Doktor zu ihren Plätzen führte,
spaßte er mit ihm. „Ihr fragt Euch wohl, wie es Käptn Flint geht, he, Jim? Ich
darf Euch doch noch Jim nennen? Ja, der alte Papagei lebt noch, glaubt’s oder
nicht, dreihundert Jahre alt. Aber nicht mehr so lebhaft wie früher und
geneigt, zu Hause zu bleiben. Ihr Herr jedoch kommt gern herum, o ja.“
    Auf eine Art, die unschicklich,
wenn nicht geradezu unverschämt war, wandte er sich zu Lady Alice und schob
seinen weißen Strumpf herunter, um ihr sein künstliches Bein zu zeigen. „Es ist
eine Nachbildung, seht die Gelenke und Schrauben, ist
es nicht beachtlich? Aber das übrige ist so, wie Gott es gemacht hat“, kicherte
er und stieß sie leicht mit dem Ellbogen an. Sie tat, als wäre sie verlegen,
wurde rot und schlug ihm mit dem Taschentuch auf die Hand. Ich wußte nicht,
wohin mit meinem Grinsen, aber nach einem Blick auf Master Jims bleiches
Gesicht fand ich es nicht mehr so witzig.
    Dann war ich gut beschäftigt,
ich half Daniel, die Pferde zur Weide zu bringen und machte den Mundschenk.
    Es ist kaum zu glauben, der
Squire hatte ein Dutzend Flaschen von dem Rotwein mitgebracht, den ich ihm vom
„Admiral Benbow“ raufgeschickt hatte. Mit einer sehr zuvorkommenden Geste bot
er diese bei Tisch an, und Mr. Argent akzeptierte sie, ohne mit der Wimper zu
zucken. Zehn Minuten später machten sie einander Komplimente und brachten
Trinksprüche aus. Wenn ich nicht gesehen hätte, was sich an eben diesem
Vormittag in der Halle der Kaufleute abgespielt hatte, hätte ich niemals
gemerkt, daß sie Todfeinde waren. Aber, ich hab’s ja schon gesagt, Männer von
Format machen ihre eigenen Gesetze. Oder heckte der Squire selbst etwas aus?
    Noch etwas erregte meine
Aufmerksamkeit. In der Mitte des Festes, als ich mit den Flaschen hierhin und
dorthin eilte, kam ich am oberen Ende des Tisches vorbei und sah, daß Mr.
Argent nicht an seinem Platz war. Daran ist nichts Ungewöhnliches, ein Mann muß
seinen Geschäften nachgehen, wenn er Gäste bewirtet. Aber als ich zur Kutsche
ging, um Nachschub an Wein zu holen, sah ich aus den Augenwinkeln etwas Weißes
vorüberhuschen. Dort drüben stand Betsy halb verdeckt an der Ecke der
Gasthausveranda. Sie redete mit jemandem — ernsthaft, sie scherzte nicht mit
einem anderen Diener. Sie trat dann zur Seite, und hinter ihr sah ich niemand anderen
als Mr. Argent stehen. Nun, das war komisch. Nein, im Grunde gar nicht komisch.
Alles war klar. Betsys Herumspionieren und Fragen, und wie Mr. Argent alles zu
wissen schien, was im Gange war. Er beobachtete uns alle durch sie, schon seit
Monaten. Wer weiß, vielleicht hatte er sie in den Dienst des Squire geschleust. Aber bedeutete das, daß Blandly mit ihm unter einer Decke steckte?
Ein aalglatter Bursche war das. Es gab mehr herauszufinden, wenn ich die Augen
offenhielt. Es war Zeit, meinen monatlichen Shilling zu verdienen, wer auch
immer ihn bezahlte.
    Inzwischen klirrten hundert
Bestecke in der Sommerluft unter den Bäumen beim Gasthaus. Außer dem Lärm der
Gäste bei Tisch konnte ich ein anderes Geräusch hören, stärker und tiefer, wie
die Brandung auf den Felsen der Schwarzberg-Bucht. Ich sah hinter die
abschirmenden Büsche rund um den Gasthausgarten und war aufs höchste erstaunt.
    Etwa achtzig Yards entfernt war
eine Bodensenke, die aussah wie ein kleines enges Tal oder wie eine flache
Schüssel. In der Mitte grenzten Seile ein Stück Rasen ab. Darum herum war das
Tal voller Menschen, die wie Gänseblümchen aus der Erde sprießten. Doch es
waren keine Gänseblümchen, sondern ein ungebildeter Haufen Leute, Männer in
Jacken mit Messingknöpfen und engen Hosen, Frauen in geschmacklosen,
glitzernden Kleidern und Häubchen voller Flitterkram und Bänder.

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