Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
bewegungslos in einem dunklen Loch liegend gefunden. Mit panischer Angst erfüllt hatte sie von oben auf ihre vermutlich tote Mutter hinabgeblickt. Beim Versuch, zu fliehen, fanden sich sämtliche Ausgänge verschlossen. In der Verzweiflung hatte sie immer wieder ’Mama’ geschrien!
Derweil sie nach ihrer Mama schrie, war Eva in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Verwirrt hatte sie umhergeschaut und sich umgesehen. Erst allmählich beruhigte sich ihr Herzschlag. Nach einem Blick auf die Nachttischuhr erkannte sie, dass der Morgen noch Stunden entfernt war. Eine lange Weile lag sie wach und dachte über den Traum nach. Wollten seine Bilder über die Mauer in ihrem Kopf hinweg ans Licht? Sie spürte eine Verbindung zu dem Mysterium. Nach weiterem Nachdenken gab sie sich auf dieses Schlaferlebnis selbst eine logische Antwort: Grund waren ihre Sitzungen mit Dr. Heinzgen. Ausgelöst durch diese hielt sie sich zu oft in der Vergangenheit auf, die anscheinend nachts mit klaren aber dennoch undurchsichtigen Bildern antwortete, oder war es nur scheinbar? Was wäre, wenn sie diese richtig entschlüsselte? Ob sie mit Wolf darüber reden sollte? Aber dann müsste sie über ihre Mutter sprechen und vielleicht auch noch über all das, was sie für immer vergessen wollte.
Am nächsten Morgen fühlte sich Eva gerädert. Die Uhr sagte, dass sie sich beeilen musste, um das Frühstück nicht zu verpassen. Sonst würde gleich ein Pfleger in ihrem Zimmer stehen und nachsehen, ob ihr auch nichts passiert sei. Noch gestern hatte sie sich auf die heutige Sitzung mit Dr. Heinzgen gefreut. Nun aber würde sie nach dem Frühstück am liebsten gleich wieder in ihr Bett kriechen und nichts mehr von der Vergangenheit hören.
***
Es war ein trüber Montag, immer wieder setzten Regenschauer ein. Schon als Wolf die Einfahrt zur Klinik entlang fuhr und seinen Parkplatz ansteuerte, spürte er Unbehagen. Das konnte doch wohl nicht an seinem Vorsatz liegen, heute mit Eva über ihre Mutter zu sprechen? Als er durch das Portal trat, winkte ihn die Empfangsmitarbeiterin herbei.
„Dr. Heinzgen?“
Wolf nickte fragend. Die Frau übergab ihm einen prallen Umschlag. Die Handschrift darauf kannte Wolf nicht. Er las Dr. Heinzgen, bitte vor der nächsten Sitzung lesen. Eva! Gespannt riss er das Kuvert auf und hielt etliche dicht beschriebene DIN A 4 Seiten in den Händen. Sogleich begann er, zu lesen.
„ Herr Doktor?“, unterbrach ihn die Empfangsdame, „und dann möchten Sie sich bitte noch vor der Sitzung bei Professor Sanders melden.“
Wolf nickte, ohne aufzusehen. Seine Augen blieben an den Zeilen kleben, ohne etwas zu lesen. Der Professor, dachte er stattdessen. Er hatte das unbehagliche Gefühl hervorgerufen. Wolf sah auf seine Armbanduhr und daraufhin auf die beschriebenen Seiten. Seine Neugier siegte. Die Zeit, die er durch die günstige Verkehrssituation auf dem Weg hierher gewonnen hatte, wollte er nutzen. Er suchte eine ruhige Ecke auf und begann zu lesen, bevor er das Büro des Professors aufsuchte.
„ Beschreiben Sie mir doch knapp, wie es aussieht und wann mit der Fertigstellung des Gutachtens zu rechnen ist?“, lieber Kollege Heinzgen, empfing ihn der Professor ohne Höflichkeitsfloskeln. Anscheinend schlug ihm ebenfalls der graue Montag aufs Gemüt. Wolf dachte an Evas Zeilen, die er bei sich trug und die ihn beschäftigten.
„ Wie es aussieht“, wiederholte Wolf, um Zeit zu gewinnen. „Also, schweres Trauma durch sexuellen Missbrauch schon in ganz früher Kindheit über Jahre hinweg durch eine Vertrauensperson. Verleugnung der Realität, Spaltung der Persönlichkeit. Ich kann noch nicht genau sagen, wieweit ausgeprägt und in wie viele Personen sie sich aufgespaltet hat. Aber sie ist willig und wird immer zugänglicher.“
„ Und ihre Amnesie?“
„ Es könnte durchaus sein, dass es auch eine Person in ihr gibt, die sich doch erinnert. Aber ich brauche noch etwas Zeit.“
„ Wie viel?“
„ Legen Sie mich nicht fest, zwei, vielleicht aber auch noch vier Wochen oder länger.“
Der Professor stöhnte auf. „Die Staatsanwaltschaft glaubt noch, wir wären hier nicht in der Lage, Gutachten zu erstellen.“
„Gibt es Druck?“
„ Eine höfliche Anfrage“, meinte der Professor mit einem säuerlichen Lächeln. „Heute ist nicht so ganz mein Tag, meine Migräne.“
Wolf drückte ihm die ausgestreckte Hand.
„Na, hoffentlich wird es wenigstens meiner.“
Als er kurz darauf Evas Zimmer betrat und
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