Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
hoffnungsvoll an. „Evchen, komm, mein Kleines.“
Wenn sie im Zusammenhang mit Sexualität Evchen genannt wurde, erschauderte sie. Diesen Ronald hasste sie. Und sie hasste es ebenfalls, wenn er anfing, sein eheliches Recht zu verlangen. Sich dabei Mittel bediente, die ihn schneller und intensiver zum Orgasmus brachten. Hasste es, ihn bei dem Gestöhne eines laufenden Pornofilms zu befriedigen. Hasste es, ihm dabei fantasievoll erzählen zu müssen, wie sie es mit anderen Männern trieb und es ihm nicht einmal auffiel, dass sie immer dieselbe Geschichte erfand. Diese im Grunde harmlose Neigung, den ehelichen Verkehr etwas anzutörnen, war ihr mehr als zuwider, und sie fragte sich, wie Elke das ausgehalten hatte. Er musste es auch mit ihr so getrieben haben, denn alle entsprechenden Vorrichtungen waren fest im Schlafzimmer integriert gewesen, als sie in sein Haus gezogen war. In jedem Mann steckt eine Sau, hatte sie abfällig gedacht. Auch wenn sie nach Außen hin noch so fein und edel wirkten. Mit zusammengepressten Lippen hatte sie ihre Teetasse abgestellt.
Mit den unvermittelt aufkommenden Emotionen schob sie abrupt ihre Kaffeetasse von sich, stand auf und eilte auf ihr Zimmer. Hatte sie wirklich so brutal auf ihn eingestochen und sein Glied abgeschnitten? Ihre Fingerabdrücke auf dem Messer, in der Küche und am Mülleimer sprachen dafür. Und natürlich die Verletzungen in ihrer rechten Hand. Sie konnte an diese verdammte Wand in ihrem Kopf nicht mal klopfen, ohne dass sich alles in ihr verspannte und diese merkwürdige Angst in ihr aufflammte. Aber auch Elke empfand sie immer mehr als eine permanente überdimensionale Bedrohung. Vielleicht, überlegte Eva, hatte sie hier einen Fehler gemacht, hätte doch mit Ronald über seine erste Frau reden sollen? Ihr Tod hatte stark auf ihm gelastet und sie ihm kein Ventil geboten. Es hatte Nächte gegeben, in denen sie, einmal aufgewacht, nicht mehr einschlafen konnte und ihr zudem ständig das Bild in Köln vor Augen tanzte.
Sie warf sich aufs Bett. Und von einem Moment auf den anderen sehnte sie sich in ihrer grenzenlosen Einsamkeit nach Dr. Heinzgen. Er würde sie verstehen. Mit ihm konnte sie dem Geheimnis in ihrem tiefen Inneren auf die Spur kommen. Sie musste nur mit bedacht handeln, nicht maßlos erzählen. Ihr durfte kein Fehler unterlaufen. Sie hütete ein ihr gegenwärtiges Geheimnis und ein weiteres, von dem nur eine Ahnung in ihr schlummerte. Nichts Konkretes, lediglich das Vorgefühl, dass sich in ihr noch Verschiedenes verbarg und es besser wäre, hiervon niemandem wissen zu lassen. Genau an diesem Punkt fühlte sie sich durch sich selbst verlassen. Denn an dieses Geheimnis kam sie über ihren Kopf nicht heran. Das saß fest in ihrem Unterbewussten, hing fest in den Schaltstellen ihres Gehirns und schaffte den Sprung in die Wirklichkeit nicht. Kaum mehr konnte sie den Montag mit Dr. Heinzgen erwarten. Fast zärtlich dachte sie an ihn. Mit seiner warmherzigen Art, seiner weichen, aber festen Stimme hatte er in ihr die Bereitschaft losgetreten, Dinge zu sagen und zu tun, die sie niemals für möglich gehalten hätte. Er strahlte Sicherheit und Überzeugung aus über das, was er ausübte. Um eine Verbindung zu ihm herzustellen, holte sie wieder ihren Schreibblock hervor und begann für Dr. Heinzgen die in der Cafeteria gedanklich erlebte Zeitreise in die Vergangenheit festzuhalten. Noch war alles frisch gegenwärtig. Bei der hektischen und schnellen Niederschrift formte sie die Buchstaben nicht so fein säuberlich wie bei der vorherigen, die schon in der Schublade lag. Den Unterschied würde er sicher bemerken und ihren Seelenzustand daran ablesen, dachte sie schmunzelnd. Streng achtete Eva darauf, im Schreibfluss nicht zu erwähnen, warum sie ausgerechnet die Frau dieses bestimmten Arztes hatte werden wollen.
In der Nacht wachte Eva mit starkem Herzklopfen auf. In ihrer Brust herrschte dieses kaum zu ertragende beklommene wehmütige und schmerzliche Gefühl. Was war passiert? Sofort erinnerte sie sich an ihren Traum. Sein Inhalt kreiste fast bildlich vor ihren Augen, hielt sie fest umklammert und brachte sie zum Zittern:
Sie war ihm Haus ihrer Mutter gewesen, hatte nach ihr gerufen, als plötzlich ein Schatten neben ihr auftauchte, die Arme hob und etwas auf ihren Kopf rammte. Als sie aus der Ohnmacht erwachte, war Mutter im Haus nirgends zu sehen gewesen. Noch benommen vom Schlag war sie torkelnd auf die Suche nach Mutter gegangen und hatte sie
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