Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
leise.
Der Richter schüttelte den Kopf. Er schwieg weiter und sein Schweigen drückte. Anke begann, sich unwohl zu fühlen. War das seine Art, ihr mitzuteilen, dass sie gehen solle? Aber es passte nicht zu ihm. Sie sah Frau Moretti an. Sie lächelte ihr zu.
„Aber“, begann der Richter und Anke stieß ein Danke für sein Weitersprechen zum Himmel, „ihr damaliger Bewährungshelfer müsste das wissen.“
Da hätte sie auch selbst draufkommen können. Sie bedankte sich für den Tipp und verabschiedete sich.
In einer rasanten Autofahrt fuhr Anke zur Zeitung und flitzte direkt ins Archiv. Wühlte den gesamten Juni und Juli 1986 durch, auch von der Konkurrenz, fand aber nur einige kurze Artikel über den Fall Irmgard Maron, die weniger aussagten, als der Richter ihr erzählt hatte.
Oben in der Redaktion suchte sie einen der freien Schreibtische auf. Als freie Mitarbeiterin stand ihr kein eigener zur Verfügung. Etwas ratlos wippte sie mit dem Schreibtischstuhl hin und her und ließ ihre Augen über die schaffenden Kolleginnen und Kollegen gleiten. Einige telefonierten, andere tippten ihre Artikel in den PC. Als der Redaktionsleiter sie von hinten ansprach, schrak sie zusammen.
„Frau Contoli, sieh einer an. Seltener Besuch in der letzten Zeit. Sind Sie an was dran oder nehmen Sie sich eine Auszeit?“
„ Beides. Klar bin ich an was dran, aber das dauert noch, gibt’ s denn was Dringendes?“
„ Ich warte immer noch auf den Kampfhundeartikel.“
Mist, dachte Anke, sagte aber. „Den mail ich heute Abend rüber.“
„Dann viel Erfolg bei der neuen Story. Ich bin schon jetzt gespannt.“
Dann ging er endlich. Anke atmete durch. Der Bewährungshelfer schoss es ihr durch den Kopf. Sie notierte: Bender anrufen. Plötzlich fühlte sich ihr Kopf leer an. Wolf konnte sie immer nur zu vollen Zeiten zwischen seinen Sitzungen anrufen. Sie sah auf die Uhr und hatte Glück. Seine letzte Sitzung für diesen Tag müsste er hinter sich haben. Nach dem dritten Klingelzeichen nahm er ab. Etwas erregt erzählte sie ihm von ihrem Gespräch mit dem Richter. Zum Schluss erwähnte sie Evas Suizidversuch.
Wolf schwieg einen Moment, ehe er reagierte.
„ Das hat sie also damit gemeint, ich dachte es mir schon.“
„ Was?“
„ Ach, später.“
„ Kochst du was, oder soll ich nach Hause fahren, erschöpft genug bin ich.“
„ Wenn du mit einer Gemüsesuppe und einem roten Franzosen einverstanden bist?“
„ Bin schon unterwegs.“
Anke griff ihren angelegten Ordner Eva Seitz als Evas Foto herausrutschte. Sie nahm es, betrachtete es und ohne zu wissen, wieso sie darauf kam, überlegte sie, dass Eva die zweite Frau des Arztes Dr. Seitz war. Was war mit der Ersten passiert? Sie hatte sich auch nach dieser erkundigen wollen, aber es bisher noch nicht geschafft. Wo sollte sie ansetzen? Dr. Seitz konnte sie nicht mehr fragen und Wolf hatte in den Sitzungen zu Eva noch kein Wort über ihre Vorgängerin erwähnt. Wer also könnte die erste Frau kennen? Die Putzfrau, bingo. Sie rief Bender an.
„ Hallo, hier Anke, gut, dass du noch da bist, könntest du mal im PC nachsehen und mir freundlicherweise ganz diskret sagen, ob im Fall Eva Seitz irgendwo der Name der Putzfrau erwähnt ist? Die hat doch die ganze Sache gemeldet. Ach, und wenn du schon dabei bist, gleich auch, ob du den Bewährungshelfer findest, der damals Irmgard Maron betreut hat?“
Sie hörte ihn stöhnen und das Klicken der Tastatur. Nach Ankes Empfinden meldete sich seine Stimme erst wieder nach endloser Zeit.
„Die Frau hieß Waltraud Angerer.“ Bender gab ihr die Adresse durch. „Für den Bewährungshelfer brauche ich etwas mehr Zeit.“
„ Ich danke dir, du bist ein unersetzbarer Schatz für meine Recherchen.“ Sie legte schnell auf, schnappte ihre Tasche, die Akte und hielt einen Augenblick inne, bevor sie aufstand. Sollte sie vorher anrufen? Nein, sie würde einfach hinfahren und vor der Tür stehen. Vor lauter Eifer vergaß sie die Verabredung mit Wolf zum Essen.
Der Abendverkehr im Regen forderte ihre Nerven. Nach einigem Suchen, Drehen und Wenden fand sie dann doch einen Parkplatz in Hausnähe. Bevor sie klingelte, steckte sie den Recorder so in ihre Handtasche, dass sein Mikrophon nach oben zeigte. Den Reißverschluss der Tasche ließ sie etwas geöffnet.
Frau Angerer stand in einem dunkelblauen Arbeitskittel mit rosa Punkten in der Tür, einen Kittel, wie Anke ihn von ihrer Oma her kannte. Sie war sicher auch so alt wie ihre Oma. Frau
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