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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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drinnen;
    sonst nehm ich ein Flugzeug zum Pol zurück
    und esse ein köstliches Rentier-Picknick:
    mit Rentierbraten und Rentierfilet,
    mit Rentiersuppe und Rentierpaté.‹«
    »Ich hasse diesen Kerl«, verkündete Charlotte mit Nachdruck. Sie zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch, wie am vergangenen Abend, aber heute hatte sie nicht richtig Angst, sondern amüsierte sich prächtig und tat nur so, als gruselte sie sich.
    »Der Kerl ist einfach böse zur Welt gekommen«, entschied Emily. »Er konnte sicher nicht so werden, nur weil sein Dad und seine Mom nicht so lieb zu ihm waren, wie sie sein sollten.«
    Paige bewunderte Martys Fähigkeit, genau den richtigen Tonfall zu treffen, der ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Kinder sicherte. Hätte er ihr das Gedicht vorher vorgelesen, hätte Paige gesagt, es wäre ein wenig zu stark und finster für kleine Mädchen.
    Soviel zur Frage, was besser war – die Einsichten einer Psychologin oder der Instinkt des Geschichtenerzählers.
    »Am Kamin schaut er hastig hinab in den Ofen,
    doch dieser Zugang ist nur für die Doofen.
    Mit seinen Werkzeugen kann er bedacht
    sich Zugang verschaffen wie ein Dieb in der Nacht.
    Vom Dach zur Küchentür springt er alsdann
    und fängt diabolisch zu grinsen an,
    weil er weiß, daß er schlimme Sachen parat
    für die friedlich schlafende Familie hat.
    Dann grinst er noch einmal, die elende Laus,
    und bricht ein durch die Tür in das Stillwater-Haus.«
    »Unser Haus!« quietschte Charlotte.
    »Ich wußte es!« sagte Emily.
    Charlotte sagte: »Hast du nicht.«
    »Hab’ ich doch.«
    »Nein.«
    »Doch. Darum habe ich Peepers im Bett, damit er mich bis nach Weihnachten beschützen kann.«
    Sie bestanden darauf, daß ihr Vater alles noch einmal vorlas, von Anfang an, alle Verse beider Abende. Als Marty sich fügte, schlich Paige zur Tür hinaus und ging nach unten, um die Popcornreste wegzuschaffen und die Küche aufzuräumen.
    Was die Kinder betraf, war der Tag perfekt gewesen, und für sie war er auch nicht schlecht gelaufen. Marty hatte keinen weiteren Anfall mehr erlitten, wodurch sie sich selbst in dem Glauben wiegen konnte, daß seine Fugue etwas Einmaliges gewesen war – beängstigend, unerklärlich, aber kein Anzeichen für einen schwerwiegenden degenerativen Zustand oder eine Krankheit.
    Kein Mann konnte mit zwei solchen Energiebündeln von Kindern Schritt halten, sie unterhalten und einen ganzen hektischen Tag lang dafür sorgen, daß sie nicht quengelig wurden, wenn er sich nicht bester Gesundheit erfreute. Was die andere Hälfte der legendären Stillwater-Eltern-Maschine anbetraf: Paige war erschöpft.
    Seltsamerweise überprüfte sie auch die Fenster und Türschlösser, als sie das Popcorn weggeräumt hatte.
    Gestern abend hatte Marty sein Bedürfnis nach besseren Sicherheitsmaßnahmen nicht erklären können. Schließlich war sein Problem ein inneres.
    Paige kam zu dem Schluß, daß es sich hier schlicht um ein Übertragungsphänomen handeln mußte. Er hatte nicht an die Möglichkeit von Tumoren oder Hirnblutungen denken wollen, weil diese sich seiner Kontrolle völlig entzogen, daher hatte er sich nach außen gewandt und Gegner gesucht, gegen die er wenigstens etwas Konkretes unternehmen konnte.
    Andererseits, möglicherweise, hatte er auch instinktiv auf eine echte Bedrohung reagiert, die sich der bewußten Wahrnehmung entzog. Da sie Aspekte der Jungschen Theorie in ihr persönliches und berufliches Weltbild mit einbezog, konnte Paige an Konzepte wie kollektives Unbewußtes, Synchronizität und Intuition glauben.
    Als sie an der Verandatür des Wohnzimmers stand und über die dunkle Veranda in den Garten sah, fragte sie sich, welche Bedrohung Marty da draußen in einer Welt gespürt haben mochte, die, solange sie lebte, immer gefährlicher geworden war.

16
    Er wendet die Aufmerksamkeit stets nur kurz vom Highway ab und wirft rasche Blicke auf die seltsamen Umrisse, die auf beiden Seiten der Straße aus Regen und Dunkelheit aufragen. Abgebrochene Zähne aus Fels haben sich aus dem Sand her ausgebohrt, als würde ein Molch unter der Erde gerade das Maul aufreißen, um jedes arglose Tier zu verschlingen, das sich auf der Oberfläche herumtreibt. Weit verstreute Gruppen verkrüppelter Bäume bemühen sich, in einem Landstrich am Leben zu bleiben, wo Unwetter selten und Regengüsse noch seltener sind; knorrige Äste winden sich aus dem Nebel, kantig und chitinartig wie die stachligen Gliedmaßen von Insekten, werden flüchtig von

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