Die zweite Haut
seine Größe und Figur hat. Als er den Reißverschluß der Hose zumacht, sagt er: »Wohin fahren Sie?«
»Im Augenblick nach Las Vegas, aber dann anderswohin, und danach wieder anderswohin. Meine Frau und ich sind pensioniert und leben größtenteils im Wohnmobil. Wir wollten uns das Land schon immer ansehen, und jetzt erfüllen wir uns diesen Wunsch. Gibt nichts Schöneres als das Leben auf der Straße, jeden Tag was Neues zu sehen, die reine Freiheit.«
»Klingt toll.«
Am Waschbecken, wo er sich die Hände wäscht, zögert der Killer und fragt sich, ob er es wagen soll, dem alten Narren gleich hier eine zu verpassen und die Leiche in einer Toilettenkabine zu verstecken. Aber da so viele Leute auf dem Parkplatz sind, könnte jemand unerwartet hereinkommen.
Als der Fremde den Hosenladen zumacht, sagt er: »Das einzige Problem ist nur, daß es Frannie – das ist meine Frau – nicht gefällt, wenn ich bei Regen fahre. Sobald es mehr als nur ein bißchen nieselt, will sie an den Straßenrand fahren und abwarten.« Er seufzt. »Heute werden wir nicht viele Meilen zurücklegen.«
Der Killer trocknet sich die Hände unter dem Heißlufttrockner. »Nun, Vegas ist morgen auch noch da.«
»Stimmt. Selbst wenn der liebe Gott am Tag des Jüngsten Gerichts kommt, werden die Blackjack-Tische offen sein.«
»Ich hoffe, Sie sprengen die Bank«, sagt der Killer und geht hinaus, als der alte Mann zum Waschbecken kommt.
Als er naß und zitternd wieder im Honda sitzt, läßt er den Motor an und schaltet die Heizung ein. Aber den Gang legt er nicht ein.
Drei Wohnmobile parken in den tiefen Buchten am Bordstein.
Eine Minute später kommt Frannies Mann aus der Toilette. Durch die Regenschlieren auf der Windschutzscheibe beobachtet der Killer den weißhaarigen Mann, der zu einem großen, silbernen und blauen Road King sprintet, in den er durch die Fahrertür vorne einsteigt. Auf die Tür ist der Umriß eines Herzens aufgemalt, und in diesem Herzen stehen zwei Namen in schnörkeliger Schrift: Jack und Frannie.
Das Glück ist Jack, dem Rentner mit Ziel Las Vegas, nicht hold. Der Road King steht nur vier Buchten von dem Honda entfernt, und das macht es dem Killer leicht zu tun, was getan werden muß.
Der Himmel gießt einen wahren Ozean aus. Das Wasser fällt an dem windstillen Tag senkrecht herab, zertrümmert unablässig die spiegelgleichen Pfützen auf dem Asphalt und ergießt sich in scheinbar endlosen Strömen in die Rinnsteine.
Autos und Lastwagen fahren vom Highway ab, parken eine Weile, fahren weiter und werden von neuen Fahrzeugen ersetzt, die sich zwischen den Honda und den Road King stellen.
Er ist geduldig. Geduld gehört zu seiner Ausbildung.
Der Motor des Wohnmobils läuft. Kristallisierte Abgase steigen von den beiden Auspuffrohren auf. Warmes, goldgelbes Licht leuchtet hinter den Vorhängen der Seitenfenster.
Er beneidet sie um ihr behagliches Heim auf Rädern, das gemütlicher aussieht als jedes Heim, das er je besitzen wird. Außerdem beneidet er sie um ihre lange Ehe. Wie mag es sein, eine Frau zu haben? Wie würde man sich als geliebter Ehemann fühlen?
Nach vierzig Minuten läßt der Regen immer noch nicht nach, aber eine ganze Schar Autos brechen auf. Der Honda ist jetzt das einzige Fahrzeug, das auf der Fahrerseite des Road King parkt.
Er nimmt die Pistole, steigt aus dem Auto aus, geht hastig zu dem Wohnmobil und behält dabei die Seitenfenster im Auge, sollten Frannie und Jack in diesem ungünstigsten aller Momente beschließen, nach draußen zu sehen.
Er schaut zu der Toilette. Niemand zu sehen.
Perfekt.
Er ergreift den alten verchromten Türgriff. Nicht abgeschlossen. Er steigt ein, geht die Stufen hinauf und sieht über den Fahrersitz.
Die Küche liegt unmittelbar hinter der offenen Kabine, eine Eßnische folgt nach der Küche, dann das Wohnzimmer. Frannie und Jack sitzen in der Nische und essen, Frannie hat dem Killer den Rücken zugekehrt.
Jack sieht ihn zuerst und steht auf, während er gleichzeitig aus der Nische schlüpft, und Frannie sieht mehr neugierig als erschrocken über die Schulter. Die ersten beiden Schüsse treffen Jack in Brust und Hals. Er bricht über dem Tisch zusammen. Die blutbespritzte Frannie macht den Mund auf, um zu schreien, aber die dritte Hohlspitzkugel verleiht ihrem Schädel eine radikal neue Form.
Der Schalldämpfer ist auf die Mündung aufgeschraubt, aber er taugt nicht mehr viel. Die Dämpfpolster sind zusammengedrückt. Das Geräusch der Schüsse ist nur
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