Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
Aussagen zu treffen oder di ese gar meinen eigenen Hoffnungen und Wünsche anzupassen, so ich denn welche besäße«, erwiderte die KI ungerührt. »Das einzige, womit ich in dieser durchaus existentiellen Frage dienen kann, ist eine aus wissenschaftlicher Sicht bislang ungenügend abgesicherte Arbeitshypothese.«
»Akademisches Geschwätz«, knurrte der Kapitän, spürte aber dennoch, wie seine Handflächen feucht wurden. »Werden wir nun geschluckt oder nicht?«
»Davon ist angesichts des momentan relativ stab ilen Kräftegleichgewichts nicht auszugehen. Die Gravitation des unbekannten Objekts, in dessen Sphäre sich die ›Orpheus‹ befindet, korreliert offenbar nicht mit dessen angenommener Masse, sondern unterliegt deutlichen Schwankungen. Momentan erscheint sie, zumindest was ihren Einfluss auf die ›Orpheus‹ anbetrifft, vernachlässigbar klein.«
»Wir könnten also einfach die Triebwerke starten und wegfliegen?«, erkundigte sich der Kapitän ve rblüfft. Will ich das überhaupt?
»Möglicherweise, Sir. Dagegen spricht allerdings der bisherige Flugverlauf im Einflussbereich der Dunkelmasse. Offensichtlich verstärkt sich die A nziehungskraft des Objektes proportional zur gegengerichteten Eigenbeschleunigung der ›Orpheus‹ mit dem Ergebnis, dass die resultierende Geschwindigkeit zu Null wird.«
Wie eine Katze, die mit einer Maus spielt , dachte der Kapitän, verwarf den Vergleich aber sofort wieder. Die Realität – sofern man an einem Ort wie diesem überhaupt von Realität sprechen konnte – war weitaus komplexer.
»Könnte es sein, dass dieses ... Objekt bewusst handelt?«, erkundigte er sich statt dessen.
»Das ist möglich, Sir, wenngleich auf Grund der Größenverhältnisse nicht unbedingt wahrscheinlich. Das Objekt müsste über ein ausgesprochen empfin dliches Sensorium verfügen, von den benötigten Auswertungs- und Reaktionseinrichtungen ganz zu schweigen. Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem Phänomen eher um eine Art Automatismus.«
»Der welchem Zweck dienen könnte?«
»Ich bedauere, Sir, aber für eine diesbezügliche Hypothese reicht das vorhandene Datenmaterial nicht aus.«
Versager , dachte der Kapitän nicht ohne eine Spur Genugtuung. Du bist und bleibst ein Erbsenzähler ohne einen Funken Phantasie ...
Er hatte allerdings auch nicht e rwartet, dass sich die biedere Schiffsintelligenz auf Spekulationen über die physikalische Natur dieses Ortes einlassen würde. Rector hatte die Situation nicht verschuldet, in der sich die »Orpheus« befand. Er steuerte zwar das Schiff, aber den Kurs hatte der Kapitän selbst bestimmt, hatte unter Hunderten Alternativen exakt jene ausgewählt, an deren Ende die große Dunkelheit lag, an deren Ufern sie nunmehr gestrandet waren. Auf welche Weise er das bewerkstelligt hatte, war dem Kapitän selbst ein Rätsel. Seine Entscheidungen waren stets rein intuitiv gewesen, und er hatte nie gezögert, sie zu treffen. Aber möglicherweise waren es ja auch gar nicht seine Entscheidungen gewesen, vielleicht hatte etwas oder jemand ihn gerufen ...
Der Besuch des trinkfreudigen Lad emeisters und die anschließende Diskussion hatten den alten Mann ermüdet. Die Erschöpfung legte sich wie eine unsichtbare Last auf seine Glieder, die ihm nur noch widerstrebend gehorchten. Mit schweren Schritten schleppte sich der Kapitän ins Bad und anschließend in seine Koje. Er schaffte es nicht einmal mehr, das Licht im Raum zu löschen, bevor er einschlief.
Irgendwann erwachte er von einem Geräusch. Es waren Schritte, ihre Schritte, anderenfalls wären sie gar nicht bis in sein traumverlorenes Bewusstsein vorgedrungen. Der Kapitän hätte Helens Schritte unter Hunderten ähnlich klingenden herausgehört, und so brauchte er auch nicht die Augen zu öffnen, als die nächtliche Besucherin die Tür vorsichtig öffnete und in den Raum trat.
Sie ist da! Nur das war wichtig, und er hatte nicht vor, dieses Wunder durch eine unbedachte Reaktion auf die Probe zu stellen. Er hatte von Helen geträumt wie so oft in letzter Zeit, und so empfand er ihre Gegenwart wie eine Fortsetzung seines Traumes.
Er spürte, wie sie sich zu ihm aufs Bett setzte, roch den Duft ihrer Haut und lauschte ihren ruhigen, r egelmäßigen Atemzügen. Vorsichtig tastete er nach ihrer Hand und genoss die Wärme der Berührung und den sanften, beruhigenden Druck ihrer Finger. Ihre Haut war zart und glatt, und fast schämte er sich seiner eigenen, die sich dagegen trocken
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