Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
Körper hindurch schieben konnte, fand sich Jerry in den Pranken des Riesen wieder, der ihn wie den verlorenen Sohn gegen seine Brust presste und dabei fast die Rippen brach. Erst nachdem ihn der Hüne wieder freigegeben hatte, vermochte Jerry auch den Rest der Gesellschaft in Augenschein zu nehmen. Der Anblick der Freaks – und um solche handelte es sich bei den meisten der Umstehenden zweifellos – hätte Jerry zweifellos amüsiert, wäre da nicht der gehetzte Ausdruck in den Gesichtern gewesen, den selbst Neugier und Wiedersehensfreude nicht zu vertreiben vermochten. Am auffälligsten war die Veränderung bei denjen igen, die Jerry von früher her kannte. Sie schienen in einer Weise gealtert, wie es selbst der exzessivste Lebenswandel nicht innerhalb so kurzer Zeit hätte bewerkstelligen können.
Simon »Steelhammer« McKenna schien sich noch am wenigsten verändert zu haben, auch wenn sein dichter schwarzer Haarschopf von einigen gra uen Strähnen durchzogen war.
»Trauriger Haufen, was?«, versetzte der Ex-Drummer trocken. »War hier aber nicht immer so, alter Junge.«
»Das kann ich mir denken«, gab Jerry zurück, während er Hände schüttelte und nach Schweiß riechende Umarmungen ertrug. »Wir sollten reden, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist.«
»Ist gemacht, Boss«, versetzte der Hüne grimmig. »Ich besorge uns was zu trinken, und dann reden wir.«
Eine halbe Stunde später hatte Jerry die meisten Fragen beantwortet, versprochen, dass er am Abend spielen würde, und einer Reihe traurig aussehender Groupies falsche Komplimente gemacht. Ihre Dankbarkeit machte ihn traurig und wütend. Jetzt brauchte er wirklich einen Drink.
»Wir sind alle nicht mehr dieselben«, bemerkte der Ex-Drummer kummervoll, als sie mit einer tr üben Flüssigkeit anstießen, die ihnen eine traurig aussehende Frau servierte. Das Getränk schmeckte fruchtig und brannte in der Kehle.
»Was ist passiert?«, fragte Jerry rundheraus, nac hdem er sein Glas geleert hatte.
»Inzwischen eine ganze Menge.« Der Schrecken aller Konzertveranstalter und Kneipwirte hatte die Stirn in Falten gelegt und suchte nach den richtigen Worten. »Als wir hier ankamen, war alles noch in Ordnung. Ich brauchte eine Auszeit, und das hier war das abgefahrenste Camp weit und breit. So was spricht sich natürlich rum, und irgendwann waren es an die hundert Leute, die hier kampierten. Wir ha tten eine Menge Spaß, das kannste mir glauben, Jerry, und als eines Tages Hank – du weißt schon, der von ›Butcher’s Eden‹ – nicht von der Jagd zurückkam, hat sich niemand was dabei gedacht. Hank war meistens zu, und hier gibt’s Sümpfe und Drecklöcher mit allem möglichen Viehzeug. Shit happens.«
»Aber dabei blieb es nicht, oder?«
»Nee, eine Woche später verschwand Rick Mason, der Clown, und diesmal hatte jemand was gesehen, nämlich sein Kumpel Albert, der paar hundert Meter entfernt mit den Fallen beschäftigt war.«
»Und was hat er gesehen?«
»Na ja, zuerst hat er nur was gehört, nämlich so’n Rauschen wie von ’nem großen Vogel, und dann wäre da so was wie ein Schatten gewesen. Rick hat geschrien, wie wenn ihn was gepackt hätte. Mit dem Schreien wäre dann auch das Rauschen leiser geworden.«
»Und das war das erste Mal, dass jemand den Dr achen gesehen hat?«
»Von ’nem Drachen war damals noch gar nicht die Rede«, erwiderte der große Mann. »Wir dachten eher an eine Art Raubvogel. Immerhin gibt’s hier die seltsamsten Viecher. Aber so ganz wohl war uns schon damals nicht.«
»Und was ist dann passiert?«
»Eine ganze Weile nichts, bis sich das Drecksvieh Annie geschnappt hat – vor unseren Augen. Sie war im Garten unterwegs, den gab’s damals noch, als wir wieder dieses Rauschen hörten. Und dann war’s auch schon da, das Mistvieh, stößt eine Flamme aus seinem breiten Maul, damit wir in Deckung gehen, und schnappt sich Annie, nimmt sie sich wie ein Paket in die Fänge und verschwindet. Von da an war Schluss mit lustig, zumal Annie eine Tochter hatte, die alles mit anseh’n musste.«
»Hieß die Tochter zufällig Leona?«, fragte Jerry und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
»Genauso hieß sie. Aber woher ...?«
»Ich habe sie getroffen«, erwiderte Jerry schulterzuckend. »Scheinbar kommt sie da draußen zurecht.«
»Ja, aber keiner weiß wie. Sie kommt nicht mehr her, seitdem wir den Zaun gebaut haben.«
»Wozu soll der überhaupt gut sein?«
»Die Mädels wollten es so wegen der Kinder. Es geht
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