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Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Titel: Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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die Last der Verantwortung, die er sich aufgebürdet hatte. Aber wer sollte sie tragen, wenn nicht ein Narr?
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte das Mädchen mit einer Spur Bedauern. »Sonst kann ich nicht mehr allen Bescheid sagen.«
    »Mama« wird mich in Stücke reißen, wenn dem Mädchen etwas zustößt , falls das nicht schon der Drache besorgt , dachte Jerry. Es war ein Hasardspiel, und er konnte nur hoffen, dass das As in seinem Ärmel nicht nur in seiner Einbildung existierte...
     
    Simon und seine Helfer hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten nicht nur eine funktionsfähige Brennstoffzelle und ein Elektroaggregat aufgetrieben, sondern eine ganze Bühnenanlage zusammengebastelt. Es gab sogar zwei Scheinwerfer, die die improvisierte Felsenbühne nach Einbruch der Dämmerung in farbiges Licht tauchen würden. Die Musiker waren auch nicht von schlechten Eltern. Neben Simon, der eine sichere Bank für die Drums war, waren Perry Donato als Bassist und Keith Jennings als Keyboarder mit von der Partie – beides erfahrene Session-Musiker, die sich schnell in die neueren Stücke hineinfinden würden. Dazu kam Cecilia »The Voice« Mougham als Backgroundsängerin, die bei Jerrys Eintreffen gerade dabei war, zwei anderen Frauen die Grundlagen des Satzgesanges einzutrichtern.
    Für ihn selbst waren ein betagter Synlighter und für die härteren Stücke eine waschechte Stratocaster-Leadgitarre reserviert. Sie war bereits gestimmt, aber Jerry war zu sehr Perfektionist, um sich darauf zu verlassen. Auch der Synlighter bedurfte noch einiger Tests, und damit war Jerry in der nächsten halben Stunde so beschäftigt, dass er kein Auge für das Geschehen um sich herum hatte. Er war in jene Phase absoluter Konzentration eingetreten, die j edem seiner Konzerte – gleich, an welchem Ort – voranging. In diesem Zustand war er weder ansprechbar noch aufnahmefähig. Seine Welt bestand aus Klängen und Melodien, die nur er hören konnte und in Gedanken bereitlegte wie ein Uhrmacher sein Handwerkszeug.
    Als er wieder zu sich kam, dämmerte es bereits. Auf der Wiese verschmolzen die Silhouetten der Z uschauer mit den Schatten des Dschungels. Sie waren gekommen – viele, das konnte er spüren, und mit ihnen die elektrisierende Anspannung, die dem ersten Ton eines jeden Konzertes vorausging. Die Verstärker und Mikrofone waren bereits eingeschaltet; die Boxen rauschten verheißungsvoll, er konnte die Blicke beinahe körperlich spüren, die aus der Dunkelheit auf ihn gerichtet waren.
    Er ging holte die Cyflute aus dem Futteral und nahm seinen Platz am Mikrofon ein. Eine weiße Lichtsäule flammte auf und hüllte ihn ein: der Spot-Scheinwerfer. Dann begann Jerry zu spielen – solo und zunächst beinahe unspektakulär, bis sich die Melodie strukturierte und aufschwang zu einem Leitthema, in das nach und nach die anderen Instr umente und die Stimmen der Backgroundsängerinnen einstimmten. Die Melodie wurde zur Hymne und erfasste die Zuhörer mit der Urgewalt der Vibrationen der Bass-Sequenzen und dem Dröhnen der Trommeln, während sich Jerry die Strat gegriffen hatte und das Thema mit fast schmerzhaft dominanten Variationen weiterführte.
    Der Dschungel sang, schrie und bebte, und inmi tten des Tornados wirbelnder Töne stand Jerry – ein weiß angestrahlter Zeremonienmeister – und lächelte entrückt. In diesem Moment war er der uneingeschränkte Herrscher, nicht nur auf der Bühne, sondern des gesamten Planeten, dessen Bewohner sich eingefunden hatten, um ihn zu hören, zu sehen und seiner Kunst zu huldigen.
    Die Herausforderung war für jedermann spürbar. Auch Jerry war sich ihrer bewusst und zögerte das Finale mit immer neuen Soli und Variationen hi naus, achtete aber darauf, dass Spannung und Tempo keinen Augenblick nachließen. Wenn er eine Entscheidung erzwingen wollte, dann war dies der günstigste Zeitpunkt.
    Als er sah, dass Leona aufgesprungen war – wieso er gerade dieses winzige Detail in der Dunkelheit überhaupt wahrgenommen hatte, wusste er sich auch später nicht zu erklären, aber er nahm es wahr und begriff augenblicklich, was es bedeutete – forcierte er das Tempo weiter und nahm das Thema der Hymne von Manaos ein letztes Mal auf.
    Nichts, nicht einmal das Rauschen der gewaltigen Flügel des Drachens und dessen wütendes Schna ufen, vermochte dieses Finale zu übertönen. Die hypnotische Wirkung der Musik schien selbst das Ungeheuer zu irritieren, denn es verharrte sekundenlang wie unschlüssig über der

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