Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
des Rauschens drangen jetzt von jenseits des Sees andere Geräusche an sein Ohr: ein Zischen und Fauchen, dumpfe Schläge wie von Explosionen.
Das Lager , dachte Jerry. Er hatte zwar keine genaue Vorstellung, wie weit er sich inzwischen entfernt hatte, aber die Geräusche kamen aus genau dieser Richtung. Das Mädchen hatte gewusst, dass es passieren würde...
Aber Leona war verschwunden und blieb ihm gar nichts anderes übrig, als umzukehren und der eig enen Spur folgend zum See zurückzulaufen.
Er war noch nicht weit gekommen, als das Mä dchen plötzlich neben ihm stand. Er hatte es nicht kommen hören, natürlich nicht. Leona war wieselflink und bewegte sich vollkommen lautlos.
»Da bist du ja wieder«, sagte Jerry höflichkeit shalber, als ihn das Mädchen auffordernd ansah. »Wie hast du mich gefunden?«
Ein Lächeln huschte über das schmale Gesicht. »Och, das war einfach. Ich habe viele Freunde hier im Wald.«
»Haben dir deine Freunde auch verraten, was das eben war?«
Das Mädchen runzelte die Stirn: »Natürlich der Fe uerdrachen, das weiß doch jeder.«
Ich nicht , dachte Jerry nicht ohne Groll. Und die Leute vom Schiff auch nicht...
»Wo kommt er her, der Feuerdrache?«
»Bestimmt hat ihn der Zauberer geschickt. Aber eigentlich darf ich nicht darüber reden.«
Sie hatten inzwischen den Waldrand erreicht, doch als Jerry aus dem Schatten treten wollte, hielt ihn das Mädchen zurück.
»Noch nicht«, sagte Leona und griff nach seiner Hand. »Er kommt zurück.«
»Und wenn er einen anderen Weg nimmt?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn schon hören.«
Jerry lauschte, hörte aber nichts als das Zirpen der Grillen.
Dennoch behielt Leona recht. Das Rauschen war plötzlich wieder da, schwoll an wie Wogenschlag, und wieder glitt etwas Dunkles über den Himmel, bevor sich das Geräusch allmählich entfernte.
»Ihr wißt also, wo dieses Ungeheuer wohnt?«, wol lte Jerry wissen.
»Nicht genau«, wehrte das Mädchen ab. »Der Ort ist verflucht. Niemand traut sich dorthin.«
»Aber ihr würdet ihn finden, wenn es sein müsste?«
»Vielleicht.« Leona bedachte Jerry mit einem ne ugierigen Blick, schüttelte dann aber energisch den Kopf. »Der Zauberer würde das niemals zulassen.«
»Was ist das für ein Zauberer? Hast du ihn schon einmal gesehen?«
»Nein!« Das Mädchen zuckte zurück wie vor einer giftigen Schlange. »Wer ihn sieht, muss sterben oder wird verwandelt.«
»Wer sagt das?«
»Mama.« Die Stimme des Mädchens senkte sich zu einem Flüstern.
»War das, bevor sie sich verw... eine Jägerin gewo rden ist?«
Leona nickte. In ihren Augen glänzten Tränen. Jerry fragte nicht weiter.
»Ich gehe zurück zum Landeplatz«, sagte er nach einer Weile. »Ich muss herausfinden, was passiert ist.«
Das Mädchen nickte, als hätte es nichts anderes erwartet.
»Wenn du es weißt, bleibst du dann hier?«
Die unausgesprochene Hoffnung in Leonas Frage traf Jerry tiefer, als wenn sie versucht hätte, ihn z urückzuhalten. Auf Manaos herrschte nicht nur das Gesetz des Dschungels. Jemand hatte sein eigenes darüber gestellt und sich aufgeschwungen zum Herrn über Leben und Tod. Jemand, der Menschen in Tiere verwandeln und Drachen erschaffen konnte, sich selbst aber verborgen hielt – ein Feigling, der Gott spielte...
»Vielleicht«, sagte Jerry, um keine Hoffnungen zu wecken, die er nicht einlösen konnte. Doch in se inem Herzen hatte er längst eine Entscheidung getroffen.
Das Basislager existierte nicht mehr.
Die Flammen hatten nicht nur alles Brennbare verzehrt, selbst die Metallgerippe der Container w aren geschmolzen und nunmehr Teil der lavaähnlichen Masse im Zentrum der Vernichtung, die immer noch eine immense Hitze ausstrahlte.
Niemand konnte das überlebt haben. Dennoch weigerte sich Jerry, das Geschehene zu akzeptieren. Es konnte nicht so zu Ende gegangen sein. Vielleicht war die Mannschaft doch noch rechtzeitig gewarnt worden ... vielleicht .
Plötzlich fiel Jerry der Sender ein, an den er die ganze Zeit über keinen Gedanken verschwendet ha tte. Der Pilot müsste wissen, was vorgefallen war ....
Jerry nahm das Gerät aus der Tasche und drückte den Rufknopf. Nach einer Pause, die ihm wie eine Ewigkeit erschien, drang die Stimme des Piloten so deutlich aus dem Lautsprecher, als stünde der unmi ttelbar neben ihm.
»Ja, Mr. Waters?«
Jerry fiel ein Stein vom Herzen. So gelassen hörte sich niemand an, der gerade die ihm anvertraute Mannschaft verloren
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