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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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schon eher sagen sollen.«
    Ethan war von dieser Eröffnung einigermaßen erschüttert. Er erinnerte sich gut an seine Schwägerin Ann, eine zierliche Frau mit zarten Gesichtszügen und einem ansteckenden Lachen. Nun musste er sich darauf einstellen, dass Sarah nicht mehr als eine Bekannte war, während sie vor der Familie weiterhin als seine Nichte galt.
    Sie redeten den ganzen Abend weiter, entfernten sich aber nach und nach von den beiden übermächtigen Themen des Tages, dem Mord und Sarahs Bekenntnis.
    Es war fast Schlafenszeit, als Sarah etwas einfiel.
    »Ethan, mir ist gerade noch ein anderer Ort in den Sinn gekommen.«
    »Entschuldigung … Was für ein Ort?« Die kurze vergangene Nacht und der lange, anstrengende Tag hatten ihn erschöpft.
    »Wo der Brief sein könnte.«
    »Ach, der Brief. Warum hat er ihn dir nicht einfach geschickt? Oder dir gesagt, wo du ihn finden kannst?«
    »Ich denke, das wollte er in diesen Tagen tun. Vor einigen Wochen hat er angedeutet, dass er mir diesmal etwas Wichtiges mitteilen will. Wie immer hat er nicht erkennen lassen, um was es sich handelt. Aber ich denke nach wie vor, er muss ihn irgendwo in die Bibliothek gelegt haben.«
    »Die haben wir doch schon durchsucht …«
    »Vielleicht nicht gründlich genug. Was in seinem Testament steht, weiß ich nicht, außer einer Sache: Er wollte mir alle seine Bücher zur Bibelgeschichte hinterlassen. Dazu die entsprechenden Papiere. Er wusste, dass die Bücher nach seinem Tod in meine Hände gelangen. Vielleicht hat er den Brief in eines davon gelegt.«
    Nach einem kurzen Wortwechsel, ob sie bei dieser Kälte noch einmal den Tatort aufsuchen sollten, willigte Ethan achselzuckend ein, und sie machten sich auf den Weg.
    Sie brauchten ganze zehn Minuten, um den Brief zu finden. Ethan stieß auf ihn in einem Buch mit dem Titel
Die frühesten christlichen Artefakte: Manuskripte und Originalquellen
. Das Gesuchte lag zwischen Seite 50 und 51. Sarah lächelte.
    »Dieses Buch habe ich oft in der Hand gehabt, wenn ich hier war. Er wusste, dass ich irgendwann wieder hineinschauen würde. Nun wollen wir doch mal sehen, was er mir mitzuteilen hat.«
    Es war kein Brief, sondern ein ganzer Packen handgeschriebener Erinnerungen, die mit Geralds ausführlichem Bericht über die Fahrt einer Patrouille der LRDG im Mai 1942 in den Südwesten der libyschen Wüste begann. Sarah las ihn laut vor. Das dauerte seine Zeit, aber je mehr die Geschichte sich entfaltete, desto weniger spürten sie ihre Erschöpfung und gerieten ganz in ihren Bann. Ein Tempel in der Wüste, schimmernde Mosaiken, Reliquien von der Kreuzigung und schließlich das Christusgrab. Es klang wie eine Story von
Indiana Jones
.
    Nach dem Bericht, wie Wardabaha, seine Gräber und Schätze entdeckt wurden, folgte der eigentliche Brief auf Blättern mit dem Briefkopf von Sarahs Urgroßvater:
     
    Meine liebste Sarah,
    wenn du diese Zeilen liest, bin ich von euch gegangen und auf dem Weg zu den Menschen, die ich getötet habe, um Gerechtigkeit für alles Schlechte zu erfahren, das ich anderen angetan haben mag. Wahrscheinlich werde ich bald vergessen sein, und das wäre vielleicht auch das Beste. Von allen Menschen bin ich zu meinen Lebzeiten Jesus am nächsten gekommen. Ich habe an seinem Grab gestanden und Gegenstände von seinem Leidensweg in meinen Händen gehalten. Das geschah an einem kalten Ort, wo das Schweigen mich beinahe verschlungen hätte. Aber ich bin kein gläubiger Mensch. Ich glaube weder an ihn noch an einen anderen Gott, ja, vielleicht nicht einmal an mich selbst.
    Zweifellos fragst du jetzt: Was ist geschehen? Was ist aus Wardabaha, aus den Schätzen, die wir gefunden haben, und aus den Tuareg geworden? Die Wahrheit ist, dass ich mir nicht sicher bin, zumindest was die Stadt und die Kel Ajjer betrifft. Nachdem wir die Oase verlassen hatten, sind einige schlimme Dinge passiert. Von unserer Entdeckung ist etwas durchgesickert. Es gab einen Versuch, die
Stadt zu finden und die Schätze zu entwenden. Wir haben die Berichte über unsere Fahrt vernichtet, aber es war zu spät. Einer von uns hatte damit gegenüber einer falschen Person geprahlt, jemandem, der am Tag danach an die Front geschickt wurde und in Gefangenschaft geriet. Niemand weiß, was genau geschah, aber die Geschichte landete bei den Deutschen. Und nicht nur einfach bei den Deutschen, sondern bei besonders eingefleischten Nazis. Noch mehr als das. Ein Ungar namens Almásy kam ins Spiel. Er wollte die Gegenstände in

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