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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Lindita.« Er hieß sie neben sich Platz nehmen.
    »Was möchtest du trinken?«
    Sie bestellte einen Mokka mit Sahne und zwei Portionen Schokoladenkuchen. Er prüfte ihre Figur: höchstens Größe 36 oder 38. Wie machte sie das bloß? Sie wirkte auf ihn wie ein übernatürliches Wesen. Und das war es auch, worauf er hoffte – auf ihre übernatürlichen Fähigkeiten, um Sarah zu finden und zu retten. Vielleicht konnte sie ihm sogar erklären, warum ihm so viel daran lag, warum Sarahs Rettung ihm jetzt viel mehr bedeutete als nur eine Stufe auf der Leiter zurück zu seiner persönlichen und beruflichen Integrität. Viel mehr.
    Der Kellner brachte ihr Kaffee und Kuchen, dazu einen zweiten Kaffee für Ethan. Auf dem Weg zu seinem Tresen nahm er die CD heraus und legte eine neue ein. Antony and the Johnsons setzten ein mit einem Song voller Gefühl und Angst, das fast übermenschliche Vibrato dieserStimmen schwebte auf und ab durch einen Text, düster wie schwarzer Sirup.
    Lindita stieß ihre Gabel in das erste Kuchenstück und schob sich eine riesige Portion in den grell geschminkten Mund. Als es verschwunden war, wurden ihre Augen noch größer, und genussvoll mahlten ihre Kiefer. Ethan wartete ab, bis sie fertig war. Schließlich fuhr sie sich mit der Zunge über die vollen purpurfarbenen Lippen.
    »Du mich heute nicht verhaften?«, fragte sie und blickte ihn mit ihren großen grünen Augen an.
    »Hast du wieder was angestellt?«
    Sie grinste und nahm einen großen Schluck Kaffee. Jetzt blickte sie ihn herausfordernd und verschmitzt an.
    Er erklärte, was er von ihr wollte – Hilfe bei der Suche nach Sarah und seiner eigenen Flucht.
    Sie hämmerte ein paar Minuten auf dem Notebook herum, lehnte sich dann zurück, verdrückte den Rest der beiden Kuchenstücke und den Kaffee.
    »Danke«, sagte sie dann. Dieses Wort hatte er bisher noch nie von ihr gehört. »Jetzt gehen wir besser zu mir, ja?«
    Bei anderen Frauen hätte das wie eine romantische Einladung geklungen. Aus Linditas Mund konnte es auch eine Drohung sein. Aber er zögerte nicht. Seine Lage war so, dass er tun musste, was sie wollte.
    Er fuhr sie nach Barton, dem zweifelhaftesten Viertel von Gloucester. Dabei hatte er ständig den Rückspiegel im Blick, um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurden. Er würde jeden Polizeiwagen am Ort erkennen, das wusste er. Dann fiel ihm ein, dass sich vielleicht nicht nur die Polizei für ihn interessierte. Als sie ausstiegen, standen ein paar junge Männer auf der Straße herum. Ethan kannte einigevon ihnen und sie ihn sicher auch. Er schloss den Wagen ab und blieb einen Augenblick unschlüssig stehen. Lindita trat an die Burschen heran, sagte ein par Worte zu ihnen und kam dann zurück.
    »Keine Sorge, Auto ganz sicher. Mehr sicher als vor Polizeirevier.«
    Ihre Unterkunft – sie nannte sie
ampartament im-
mein Appartement, das einzige Gütesiegel, das sie wohl erhalten konnte – lag im Souterrain eines Hauses, dessen bröckelnde Wände an einer ansteckenden Hautkrankheit zu leiden schienen. Sie bat ihn herein, als führe sie einen neuen Freier in den Vorhof ihrer Hölle.
    Lindita war Albanerin, eine
Skipetarin
aus Vlorë, einer Hafenstadt an der Adria, hundert Kilometer vom italienischen Brindisi entfernt. Wie die Stadt, aus der sie stammte, hatte Lindita mehr als einen Namen, ein Gesicht oder eine Identität.
    Sie gehörte der Solejmani-Bande an, die von Vlorë aus operierte. Die Bande hatte zunächst illegale Migranten von Albanien an die Küste von Puglia, dem Stiefel Italiens, gebracht, sich dann aber auf Heroin, Frauenhandel und illegale Glücksspiele verlegt. Den Menschenhandel hatte sie schließlich bis nach England ausgedehnt, wo Lindita ihre erstaunlichen Fähigkeiten als Graphikerin für die Fälschung von Dokumenten in jeder erdenklichen Sprache einsetzte. Von London hatte sie sich inzwischen nach Gloucester zurückgezogen, wo sie ihre Zauberkunststücke mit einem Apple-Computer und einem halben Dutzend Drucker betrieb, die den lieben langen Tag Pässe für Gangster und Zwangsprostituierte ausspuckten, wie eine Bonbonmaschine Lollipops für unersättliche Kinder.
    Nebenbei hatte sie eine Menge über das Hacker-Gewerbegelernt. Das war für sie geradezu ein Hobby und eine zusätzliche Einnahmequelle geworden. Sie achtete streng darauf, bei ihren Aktionen nicht zu übertreiben und die Spuren zu verwischen. Ab und zu passierte es aber doch, dass sie zu Verhören geholt wurde, die auch schon zu kurzen

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