Die Zweite Legion: Das Geheimnis von Askir 2 (German Edition)
Lesen und Schreiben sowie die Umgangsformen. So erlernte auch ich die Kunst des Wortes.«
»Und was ist mit der Liebeskunst?«, fragte Janos lachend.
»Die auch, aber erst später. Mit dem guten Essen und der für mich leichten Arbeit wuchs ich schnell heran. Als ich vierzehn war, verlor ich mit Genuss meine Unschuld, mit fünfzehn hatte ich meine jetzige Größe und auch ein paar Muskeln. Ihr müsst wissen, Sera Delante war sehr sorgsam in der Auswahl ihrer Gäste, nur mit Empfehlung erhielt man eine ihrer begehrten Einladungen. Zwar gab es bei manchen Gelegenheiten Wachen, aber es hatte auch da schon Zwischenfälle gegeben, sodass oft außer den Gästen und mir kein anderes männliches Wesen im Haus war. Eine meiner besten Freundinnen damals hieß Lisette. Sie war schüchtern und scheu, und die Gäste, die sie empfing, wussten das, es entsprach auch ihrem Geschmack. Es gab auch andere Geschmäcker, aber auch dafür gab es Mädchen, die ihr Liebesspiel etwas wilder mochten. Lisette nicht, sie kuschelte gern, und sie war die Jüngste, nicht viel älter als ich. Eines Nachts hörte ich sie schreien. Einer der anderen Gäste hatte, nachdem seine erste Lust gestillt worden war, sie gesehen und sich entschlossen, sie zu nehmen. Er war einer jener Gäste, die ausschließlich von Jara bedient wurden, einer Frau, die im Schmerz die Lust fand und damit das Gegenteil von Lisette war. Als ich in das Zimmer stürmte, war Lisette schon blutüberströmt. Der Mann war deutlich älter und stärker als ich, aber die Wut verlieh mir Kraft und ich schlug ihn mit einem Tischbein nieder. Sera Delante war nicht im Haus an dem Abend, und ich befürchtete, Lisette könnte verbluten, also eilte ich zum Borontempel, um Hilfe zu holen.«
»Oh, oh«, meinte Janos.
»Ja, Ihr habt recht.« Varosch kicherte leise. »Es war nicht die intelligenteste meiner Entscheidungen. Der einzige Priester, den ich fand, war ein älterer Mann in einer bestickten Robe. Er sah so alt und zerbrechlich aus, dass ich befürchtete, er würde hier an dieser Stelle seinen letzten Atemzug nehmen, aber er war der Einzige, also rannte ich zu ihm und zerrte ihn davon, faselte etwas von meiner Schwester, denn als solche empfand ich die Mädchen in Sera Delantes Haus.«
»Lasst mich raten«, sagte Sieglinde. »Ihr wart vorher noch nie im Haus der Gerechtigkeit?«
»Nein, ich war tatsächlich niemals zuvor in einem Tempel gewesen. Mein Vater hatte für so etwas keine Zeit.«
»Und es war ein alter Mann?«, fragte Janos.
»Ja. Großmeister Rolato.«
»Heiliges Exkrement!«, flüsterte Janos.
»Ja«, meinte Varosch. »Das dachte ich auch, später, als ich verstand, was ich getan hatte. Ich führte also den Oberpriester Borons in ein Haus der Lust, welches Astarte geweiht ist, und brachte ihn zu Lisette. Der Freier lag noch da, bewusstlos. Großmeister Rolato beachtete ihn nicht und legte seine Hand auf Lisette. Ich sah Borons rotes Licht, als es über sie spielte und ihre Wunden verschloss. Sie schlief dann, und der Großmeister setzte mich vor sich auf den Boden und befahl mir, alles genauestens zu erzählen. Ich tat es, ich konnte nicht anders. Alles, was ich über Sera Delante, Lisette, dieses Haus und die anderen Mädchen wusste, alles, was ich jemals vergessen hatte, all dies erzählte ich ihm. Ich war noch am Reden, als die Sera hereinkam, ihn sah und zu seinen Füßen niedersank. Er schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit, und so kniete sie dort, zwei Stunden, während ich alle ihre sorgsam gehüteten Geheimnisse ausplauderte wie ein Wasserfall.«
»Götter!«, entfuhr es Sieglinde.
»Ja, das kann man wohl sagen«, fuhr Varosch fort. »Ich war fertig, und Großmeister Rolato erhob sich. Er befahl, dass Sera Delante, Lisette, ich und auch der immer noch bewusstlose Freier mit ihm kommen sollten. Natürlich stand außerhalb des Hauses die Tempelwache, der Großmeister war nicht allein. Die Wächter ergriffen den Freier und trugen ihn davon. Die Sera, Lisette und ich blieben über Nacht im Tempel. Wir wurden mit eiskaltem Wasser gewaschen und geschoren. Ich weinte, als ich sah, wie die roten Locken der Sera unter dem stumpfen Messer fielen. Aber sie war eine Sera und sie kniete vor dem Antlitz Borons und weinte nicht. Lisette schon, sie verstand nicht, was mit ihr geschah. Wir bekamen raues Leinen angezogen und fasteten bis zum Abend des nächsten Tages. Für diesen Abend hatte Großmeister Rolato das Gericht einberufen. Der Tempel war zum Bersten voll, die ganze
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