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Die zweite Nacht

Die zweite Nacht

Titel: Die zweite Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Rabengut
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Mutter kocht übertrieben viel, danach gibt es Kuchen und wenn sich niemand mehr bewegen kann, weil wir alle so voll gefressen sind, werfen wir uns gegenseitig die Geschenke zu.«
    »Das klingt nett.« Frederik schmunzelte und ich überlegte, was ich mit seiner Antwort anfangen sollte. In meinen Ohren klang es viel netter, mit ihm zu essen, ihm etwas zu schenken und danach hemmungslos über ihn herzufallen. Innerlich seufzte ich. Geduld war noch nie eine meiner Stärken gewesen.
    »Wie verbringst du sonst Weihnachten?«, fragte ich vorsichtig. Ich wusste, dass seine Eltern schon länger tot waren. Bisher hatte ich mich aber noch nicht an das Thema herangetraut.
    »In der Regel mit einer meiner zahlreichen Geliebten«, verspottete er mich.
    Meine Augen wurden schmal. »Mit anderen Worten: Du möchtest keinen Nachtisch?« Ich knallte seine Kaffeetasse auf den Tisch und funkelte ihn dazu an.  
    Sofort setzte er sich wieder aufrecht hin. »Nachtisch?«
    »Eigentlich schon«, sagte ich gedehnt und beobachtete seine Mienenspiel.
    »Okay, ich muss das verifizieren. Bedeutet Nachtisch etwas Essbares oder impliziert es hübsche Unterwäsche mit – sagen wir – Schleifen zum Öffnen?«, wollte er jetzt von mir wissen und wirkte plötzlich wieder sehr interessiert.
    »Etwas Essbares. Der Teil mit der Unterwäsche wurde soeben gestrichen«, verkündete ich und zwinkerte ihm zu.
    »Ich bin dagegen«, sagte Frederik nur und zeigte mit dem Finger auf mich. »Hol den Nachtisch, Weib!«
    Pah. Da konnte er lange warten. »Nur, wenn du meine Frage beantwortest.«
    »Na schön. Meistens gehe ich mit meinem Bruder Essen. Wenn ich eine Freundin habe, gehe ich meistens mit zu ihrer Familie oder zu einer der unzähligen Anti-Weihnachtspartys in der Stadt. Es gibt ja genügend Leute, die mit diesem Spektakel nichts anfangen können.«
    Erschrocken sah ich ihn an. »Dann feierst du gar nicht gern Weihnachten?«
    Zugegebenermaßen war ich etwas schockiert, denn obwohl ich es gern verbarg, war ich doch ein großer Weihnachtsfreund. Ich konnte stundenlang über Weihnachtsmärkte schlendern und ich mich dabei mit Glühwein und gebrannten Mandeln vollstopfen. Wenn ich ganz sicher war, dass mich niemand beobachtete, guckte ich alle Weihnachtsfilme in einem ewig langen Film-Marathon und verspeiste dabei eine Menge Lebkuchen, die einer Großfamilie alle Ehre gemacht hätte. Wurde ich allerdings nach Weihnachten gefragt, zuckte ich unbeteiligt mit den Schultern.
    »Keine Ahnung, für mich hat es jedenfalls nicht die große emotionale Bedeutung und Familienstreitigkeiten fallen aus den bekannten Gründen aus. Aber ich bin gerne bereit, mich überraschen zu lassen, was der Abend noch so mit sich bringt.«
    Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und überlegte, ob ich das Thema endlich ansprechen sollte. »Du redest nie über deine Eltern. Darf ich fragen, was mit ihnen passiert ist?«
    Frederiks Miene verdunkelte sich leicht und ich wollte meine Frage sofort zurücknehmen, doch zu meinem Erstaunen winkte er ab. »Bist du sicher, dass ich dir damit nicht die Weihnachtsstimmung ruiniere?«
    »Das glaube ich kaum. Aber ich möchte auch nicht, dass du gleich niedergeschlagen bist.«
    Er lächelte mich leicht schief an. »Es ist alles so lange her. Mittlerweile kann ich ganz gut darüber reden. Die Wahrheit ist, dass wir nicht wissen, was eigentlich passiert ist. Sie sind einfach verschwunden.«
    Mein Mund klappte auf und ich suchte nach den richtigen Worten, um mein Mitleid auszudrücken, Frederik redete jedoch gleich weiter: »Bertram und ich waren in den Herbstferien bei unserer Oma. Opa war vor Kurzem gestorben und meine Eltern wollten in den Anden Bergsteigen gehen. Sie dachten, Oma würde die Gesellschaft gut tun und wir könnten ihr helfen, ihren kleinen Garten winterfest zu machen. Das ist alles, woran ich mich noch erinnern kann. Aber ich war auch erst 13 oder 14 Jahre alt.«
    Verlegen strich ich meine Locken hinter mein Ohr. »Wie können zwei erwachsene Menschen denn einfach so verschwinden?«
    »Glaub mir, das hat Bertram auch versucht herauszufinden. Sie haben morgens das Hotel mit ihrer Ausrüstung verlassen und sind nicht mehr zurückgekommen. Nachdem es aufgefallen ist, hat man natürlich einen Suchtrupp losgeschickt, aber da waren sie schon sechs Tage verschwunden.«
    Weil ich es nicht länger aushielt, stand ich auf und setzte mich stattdessen auf Frederiks Schoß, der dankbar die Arme um mich schlang. Ich hauchte unzählige Küsse auf

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