Die zweite Stufe der Einsamkeit
natürlich schon Luftautos gesehen, aber es war doch immer wieder eine aufregende Sache, besonders für die Kinder, die uns nachzurennen versuchten, wann immer wir vorbeisausten. Wir erschreckten auch einen Winsler, und zwar dermaßen, daß er den mit Obst vollgeladenen Karren umwarf, den er zog. Damit handelte ich mir eine Menge Schuldgefühle ein, und so habe ich das Luftauto dann doch höher geflogen.
Wir entdeckten die Gebundenen überall in der Stadt, singend, essend, umherschlendernd – und sie läuteten ihre Glocken, diese niemals verstummenden Bronzeglocken. Aber in den ersten drei Stunden fanden wir nur Shkeen-Gebundene. Lya und ich wechselten uns im Fahren und beim Ausschauhalten ab. Nach den Aufregungen des vergangenen Tages war die Suche langweilig und ermüdend.
Schließlich entdeckten wir etwas: Eine große Gruppe von Gebundenen, zehn von ihnen; sie umringten einen Brotkarren hinter einem der steileren Hügel. Zwei waren größer als die anderen.
Wir landeten auf der anderen Seite des Hügels und umrundeten ihn, um sie zu treffen, unser Luftauto ließen wir von einer Horde Shkeen-Kinder eingekesselt zurück. Die Gebundenen aßen noch immer, als wir ankamen. Acht von ihnen waren Shkeen von unterschiedlicher Statur und Hauttönung; Greeshka pulsierten auf ihren Schädeln. Die beiden anderen waren Menschen.
Sie trugen die gleichen langen roten Roben wie die Shkeen, und sie hielten die gleichen Glocken. Der eine war ein großer Mann, mit schlaffer Haut, die in Falten herunterhing, als hätte er erst kürzlich eine Menge Gewicht verloren. Sein Haar war weiß und lockig, sein Gesicht von einem breiten Lächeln beherrscht, und Lachfältchen zerknitterten die Haut um seine Augen herum. Der andere war ein dünnes, dunkles Wiesel mit einer großen Hakennase.
Beide trugen sie Greeshka, die sich an ihren Schädeln festgesaugt hatten. Der Greeshka, den das Wiesel trug, war kaum größer als ein Pickel, aber der ältere Mann hatte ein fürstliches Exemplar, das ihm fettglänzend über die Schultern hinunterhing und im Rückenkragen der Robe verschwand.
Diesmal jedoch war der Anblick entsetzlich.
Lyanna und ich gingen zu ihnen hin, versuchten krampfhaft, zu lächeln und nicht zu lesen – wenigstens jetzt noch nicht. Sie lächelten uns zu, als wir näher kamen. Dann winkten sie.
„Hallo“, sagte das Wiesel herzlich, als wir sie erreicht hatten. „Ich hab’ euch noch nie gesehen. Seid ihr neu auf Shkea?“
Das überraschte mich doch ziemlich. Ich hatte irgendeine verwirrende mystische Begrüßung erwartet oder meinetwegen überhaupt keine Begrüßung. Ich hatte mir eingebildet, die menschlichen Gebundenen hätten ihre Menschlichkeit irgendwie abgelegt – um eine Art Pseudo-Shkeen zu werden. Ich hatte mich getäuscht.
„Mehr oder weniger“, antwortete ich. Und ich las das Wiesel. Er war aufrichtig erfreut, uns zu sehen, und sprudelte förmlich vor Zufriedenheit und guter Laune. „Wir sind beauftragt, mit Leuten wie Ihnen zu reden.“ Was das anging, hatte ich beschlossen, die Wahrheit zu sagen.
Das Wiesel verbreiterte sein Grinsen – und zwar weiter, als ich es für möglich gehalten hätte. „Ich bin gebunden und glücklich“, sagte er. „Es macht mich glücklich, mit euch zu sprechen. Mein Name ist Lester Kamenz. Was willst du wissen, Bruder?“
Neben mir erstarrte Lya. Ich entschied mich, sie in der Tiefe lesen zu lassen, während ich Fragen stellte. „Wann haben Sie sich zu dem Kult bekehrt?“
„Kult?“ sagte Kamenz.
„Die Vereinigung.“
Er nickte, und ich war betroffen über die groteske Ähnlichkeit seines wackelnden Kopfes und dem des älteren Shkeen, den wir gestern gesehen hatten. „Ich bin immer in der Vereinigung gewesen. Ihr seid in der Vereinigung. Jedes denkende Wesen ist in der Vereinigung.“
„Das haben einige von uns noch nicht mitbekommen“, sagte ich. „Wie war das bei Ihnen? Wann sind Sie sich darüber klargeworden, daß Sie in der Vereinigung sind?“
„Vor einem Jahr, Alt-Erde-Zeit. Ich bin erst vor einigen wenigen Wochen in die Reihen der Gebundenen aufgenommen worden. Die erste Bindung ist eine Zeit der Freude. Ich bin glücklich. Jetzt werde ich durch die Straßen wandeln und meine Glocken läuten – bis zur Letzten Vereinigung.“
„Was haben Sie vorher getan?“
„Vorher?“ Ein kurzer, verschwommener Blick. „Ich habe Maschinen bedient – Computer, im Turm. Aber mein Leben war leer, Bruder. Ich wußte nicht, daß ich der Vereinigung angehörte,
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