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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Gemeinschaftssinn. Von Anfang an haben sie emsig Städte gebaut, immer nur in Städten gelebt, immer in Gesellschaft anderer. Sie kooperieren in allen möglichen Angelegenheiten, und sie teilen bedenkungslos mit anderen. Handel zum Beispiel – sie sehen das als ein gegenseitiges Teilen an.“
    Valcarenghi lachte. „Das kann man wohl sagen. Ich hab’ mich den ganzen lieben langen Tag über bemüht, mit einer Gruppe von Bauern, die noch nicht mit uns zu tun hatten, ein Handelsabkommen zustande zu bringen. Es ist nicht leicht, glauben Sie mir. Sie geben uns von ihren Sachen, soviel wir haben wollen – vorausgesetzt natürlich, sie brauchen es nicht selbst, oder ein anderer war schneller und hat schon vorher danach gefragt. Aber dann wollen sie in Zukunft auch alles bekommen, wonach sie fragen. Sie erwarten das, wirklich. Deshalb – jedesmal, wenn wir mit ihnen handeln, stehen wir vor der Wahl, ihnen entweder eine Art Blankoscheck zu geben oder uns durch unglaublich zähe Verhandlungen zu kämpfen, die unweigerlich damit enden, daß sie uns für die allerschlimmsten Egoisten halten.“
    Lya war nicht zufrieden. „Wie steht es mit dem Sex?“ erkundigte sie sich. „Nach dem, was Sie uns gestern abend übersetzt haben, habe ich den Eindruck bekommen, daß sie monogam sind.“
    „Sie haben eine etwas zwiespältige Einstellung zu sexuellen Beziehungen“, sagte Gourlay. „Es ist sehr eigenartig. Sehen Sie, Sex ist Teilen, und es ist gut, mit jedermann zu teilen. Andererseits soll die Beziehung wirklich und sinnvoll sein. Das schafft Probleme.“
    Laune setzte sich interessiert auf. „Ich habe diesen Punkt untersucht“, sagte sie eifrig. „Die Moral der Shkeen verlangt, daß sie jeden lieben. Aber das können sie nicht, sie sind zu menschlich, zu besitzergreifend. Im Endeffekt läuft es auf monogame Bindungen hinaus, weil eine wirklich tiefempfundene sexuelle Beziehung zu einer Person in ihrer Kultur für besser erachtet wird als eine Million oberflächliche, rein physische Verhältnisse. Das Shkeen-Ideal wäre also sexuelles Teilen mit jedermann, wobei alle diese Vereinigungen gleichermaßen tief und echt sein müßten.“
    Ich runzelte die Stirn. „Aber hat sich gestern abend nicht einer schuldig gefühlt, weil er seine Frau betrogen hat?“
    Laurie nickte lebhaft. „Ja, aber seine Schuld lag nur darin, daß seine anderen Beziehungen das Teilen mit seiner Frau ärmer gemacht haben. Das war der Betrug. Wäre er in der Lage gewesen, das Ganze ohne Beeinträchtigung seiner älteren Beziehung zu deichseln, so wäre das Geschlechtliche bedeutungslos gewesen. Und wären alle seine Beziehungen ein echtes Teilen von Liebe gewesen, dann hätte man dies als moralisches Plus angesehen. Seine Frau wäre stolz auf ihn gewesen. Für einen Shkeen ist es eine großartige Leistung, mehrere echte Beziehungen aufrechtzuerhalten.“
    „Und eines der größten Shkeen-Verbrechen ist es, einen anderen allein zu lassen“, sagte Gourlay. „Emotionell allein. Ohne Teilen.“
    Ich dachte darüber nach, während Gourlay weitersprach. Bei den Shkeen gab es kaum Verbrechen, erzählte er uns. Vor allem keine Gewaltverbrechen. Keine Morde, keine Schlägereien, keine Gefängnisse, keine Kriege in ihrer langen, leeren Geschichte.
    „Sie sind eine Rasse ohne Mörder“, sagte Valcarenghi. „Was wohl einiges erklären mag. Auf Alt-Erde hatten gerade jene Kulturen mit den höchsten Selbstmordraten auch die wenigsten Gewaltverbrechen. Und die Shkeen-Selbstmordrate ist hundert Prozent.“
    „Sie töten Tiere“, sagte ich.
    „Kein Bestandteil der Einheit“, wandte Gourlay ein. „Die Einheit umfaßt alle Wesen, die denken können, und diese Wesen dürfen nicht getötet werden. Sie töten keine Shkeen oder Menschen oder Greeshka.“
    Lya sah mich an, dann Gourlay. „Aber die Greeshka denken nicht“, sagte sie. „Ich habe heute morgen versucht, sie zu lesen, aber außer den Shkeen, auf denen sie sitzen, habe ich nichts wahrnehmen können. Nicht einmal ein Ja-ich-lebe.“
    „Das haben wir gewußt, aber dieser Punkt hat mich immer verwirrt“, sagte Valcarenghi und stand auf. Er ging an die Bar, holte eine weitere Flasche Wein und füllte unsere Gläser. „Ein völlig hirnloser Parasit, aber eine intelligente Rasse wie die Shkeen ist ihm völlig verfallen. Warum?“
    Der neue Wein war gut und kalt, ein kühles Rinnsal in meiner Kehle. Ich trank und nickte und dachte an die Flutwelle von Euphorie, die uns vor einigen Stunden überschwemmt

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