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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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rechtzeitig zu erreichen, bevor es zu spät war, aber er erwischte einen fehlerhaften Schutzanzug, und die Sporen sind eingedrungen. Sie waren alle tot, als er sie endlich fand. Er hat schreckliche Schmerzen gelitten, Robb. Wegen der Schleichenden Pest, aber noch viel mehr wegen des Verlusts. Er hat sie wirklich geliebt, und er wurde nie mehr der alte. Shkea haben sie ihm sozusagen als Belohnung übertragen, als Trost, damit er endlich auf andere Gedanken kam, nicht immer und immer wieder den Unfall vor Augen hatte, aber er dachte dennoch die ganze Zeit daran. Ich konnte das Bild sehen, Robb. Es war deutlich. Er konnte es nicht vergessen. Die Kinder waren im Schiff, waren hinter den Wällen sicher, aber das Lebens-Erhaltungssystem ist ausgefallen; sie sind erstickt. Und seine Frau – oh, Robb – sie hat sich einen Schutzanzug genommen und versuchte, Hilfe zu holen, und draußen waren diese Kreaturen, diese großen Kriechwürmer, die es auf Nachtmahr gibt …“
    Ich schluckte hart, fühlte mich plötzlich unbehaglich, kränklich. „Die Freßwürmer“, sagte ich dumpf. Ich hatte von ihnen gelesen und Holos gesehen. Ich konnte mir das Bild vorstellen, das Lya in Gustaffsons Erinnerung gesehen hatte, und es war verdammt überhaupt nicht schön. Ich war froh, daß ich nicht ihr Talent hatte.
    „Sie waren noch … noch … nicht fertig, als Gustaffson dort angekommen ist. Du weißt schon … Er hat sie alle mit einem Kreischgewehr umgebracht.“
    Ich schüttelte den Kopf. „Ich hätte nicht gedacht, daß solche Dinge überhaupt noch passieren.“
    „Nein“, sagte Lya. „Gustaffson auch nicht. Sie sind so … so glücklich gewesen, vorher, bevor das auf Nachtmahr passiert ist. Er hat sie geliebt, und sie standen einander wirklich nahe, und seine Karriere ist beinahe so etwas wie ein Wunder gewesen. Er ist nicht dazu gedrängt worden, nach Nachtmahr zu gehen, weißt du. Er nahm an, weil es eine Herausforderung darstellte, weil bisher noch niemand damit fertig geworden ist. Das frißt auch an ihm. Und er denkt die ganze Zeit daran. Er … sie …“ Ihre Stimme zerfaserte. „Sie dachten, sie wären glücklich“, sagte sie, um dann wieder in Schweigen zu verfallen.
    Es gab auch nichts mehr dazu zu sagen. Ich blieb stumm und überlegte, fühlte eine wirre, verwässerte Version jenes Schmerzes, den Gustaffson empfunden haben mußte. Nach einer Weile begann Lya wieder zu sprechen.
    „Es war alles da, Robb“, sagte sie, und ihre Stimme war weicher und langsamer und wieder ausdrucksstark. „Aber er war voller Frieden. Er kann sich an alles erinnern, auch daran, wie sehr es geschmerzt hat, aber jetzt berührt es ihn nicht mehr so wie früher. Jetzt tut es ihm nur leid, daß seine Familie nicht bei ihm sein kann. Er war traurig, weil sie ohne die Letzte Vereinigung gestorben sind. Fast wie diese Shkeen-Frau; erinnerst du dich? Die in der Versammlung. Mit ihrem Bruder.“
    „Ich erinnere mich“, sagte ich.
    „Genauso. Und auch sein Geist war offen. Weiter als der von Kamenz, viel weiter. Als er geläutet hat, sind alle Ebenen seines Bewußtseins miteinander verschmolzen, und alles schwamm auf der Oberfläche, all die Liebe und all der Schmerz und auch alles andere. Sein ganzes Leben, Robb. Ich habe sein ganzes Leben mit ihm geteilt – für einen kurzen Augenblick. Und auch alle seine Gedanken … Er hat die Höhlender Vereinigung gesehen … Er ist hinuntergegangen, damals, vor seiner Bekehrung. Ich …“
    Wieder Schweigen; es sank über uns herunter und verdunkelte das Auto. Wir waren jetzt in der Nähe des Stadtrands von Shkeen-Stadt. Der Turm spaltete den Himmel vor uns, schimmerte in der Sonne. Und die niedereren Kuppeln und Arkaden der glitzernden Menschenstadt kamen in Sicht.
    „Robb“, sagte Lya. „Lande hier. Ich muß eine Weile nachdenken, weißt du. Geh allein zurück. Ich will mich ein bißchen unter die Shkeen mischen, zu Fuß gehen.“
    Ich starrte sie an; runzelte die Stirn. „Zu Fuß. Es ist ein weiter Weg zum Turm zurück, Lya.“
    „Danach bin ich wieder okay. Bitte. Laß mich nur ein bißchen nachdenken.“
    Ich las sie. Der Gedankennebel war zurückgekehrt, dichter als je zuvor, durchwoben mit den Farben der Angst. „Bist du sicher?“ sagte ich. „Du hast Angst, Lyanna. Warum? Was stimmt hier nicht? Die Freßwürmer sind weit weg.“
    Sie sah mich nur an, ängstlich. „Bitte, Robb“, wiederholte sie.
    Ich wußte nicht, was ich sonst hätte tun sollen, also landete ich.
    Und auch ich

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