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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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genug geweint in meinem Leben.“
    Sie weinte nicht. Sie blickte auf und lachte leise. „Nein“, sagte sie.
    „Ich kann nicht. Dino hat mich gelehrt, niemals zu weinen. Er sagt, Tränen würden niemals etwas ändern.“
    Eine traurige Philosophie. Tränen sind vielleicht keine Lösung, aber sie sind Teil des Menschseins. Ich wollte ihr das sagen, aber statt dessen lächelte ich sie nur hilflos an.
    Sie lächelte zurück und hielt den Kopf sehr aufrecht. „Sie weinen“, sagte sie plötzlich, ihre Stimme eigenartig warm. „Das ist komisch. Ein solches Eingeständnis hätte Dino niemals gemacht. Danke, Robb. Danke.“
    Und Laurie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah zu mir auf – erwartungsvoll. Und ich konnte lesen, was sie erwartete. So nahm ich sie und küßte sie, und sie schmiegte sich heftig gegen mich. Und die ganze Zeit dachte ich an Lya, sagte mir, daß es ihr nichts ausmachen würde, daß sie stolz auf mich sein würde, daß sie verstehen würde.
    Später blieb ich allein im Büro zurück. Ich beobachtete, wie die Morgendämmerung heraufzog. Ich war erschöpft, aber irgendwie zufrieden. Das Licht, das über den Horizont kroch, jagte die Schatten vor sich her, und plötzlich waren all meine Ängste, die mir während der Nacht so bedrohlich vorgekommen waren, dumm und sinnlos. Wir haben es überbrückt, dachte ich – Lya und ich. Was immer es auch war, wir sind damit fertig geworden, und heute werden wir mit den Greeshka mit der gleichen Leichtigkeit fertig werden – gemeinsam.
    Als ich in unser Zimmer zurückkam, war Lya fort.
     
    „Wir haben das Luftauto im Zentrum von Shkeen-Stadt gefunden“, sagte Valcarenghi. Er war gelassen, präzise, zuversichtlich. Seine Stimme sagte mir auch ohne Worte, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauchte.
    „Ich habe meine Männer ausgeschickt, um sie zu suchen. Aber die Shkeen-Stadt ist groß. Haben Sie eine Ahnung, wohin sie gegangen sein könnte?“
    „Nein“, sagte ich dumpf. „Ich glaube nicht. Vielleicht wollte sie noch ein paar Gebundene sehen. Sie schien … nun, als sei sie von ihnen besessen. Ich weiß nicht.“
    „Nun, wir haben eine recht gute Polizeitruppe. Wir werden sie finden, da bin ich ganz sicher. Es kann allerdings eine Weile dauern. Haben Sie beide einen Streit gehabt?“
    „Ja. Nein. So etwas Ähnliches, aber es war kein richtiger Streit. Es war eigenartig.“
    „Ich verstehe“, sagte er.
    Aber das tat er nicht. „Laurie hat mir gesagt, daß Sie heute nacht hier heraufgekommen sind; allein.“
    „Ja. Ich wollte nachdenken.“
    „In Ordnung“, sagte Valcarenghi. „Nehmen wir also an, Lya ist aufgewacht und hat festgestellt, daß sie ebenfalls nachdenken wollte. Sie sind hier heraufgekommen. Sie hat einen Spaziergang gemacht. Vielleicht will sie nur einen Tag mit sich allein sein, in der Shkeen-Stadt herumspazieren. Sie hat doch gestern etwas Ähnliches gemacht, nicht wahr?“
    „Ja.“
    „Na also, und heute macht sie’s wieder. Kein Problem. Wahrscheinlich wird sie rechtzeitig zum Abendessen zurück sein.“ Er lächelte.
    „Warum ist sie dann gegangen, ohne mir etwas zu sagen? Oder eine Notiz zurückzulassen oder irgendetwas ?“
    „Ich weiß nicht. Es ist nicht wichtig.“
    War es das wirklich nicht? Wirklich nicht? Ich saß in dem Clubsessel, den Kopf in die Hände gestützt, mit düsterem Gesicht, und ich schwitzte. Plötzlich hatte ich fürchterliche Angst, und ich wußte nicht, wovor. Ich hätte sie niemals allein lassen dürfen, redete ich mir ein. Während ich mit Laurie hier oben gewesen bin, ist Lyanna allein in einem dunklen Zimmer aufgewacht, und … und … und was? Und ist gegangen.
    „In der Zwischenzeit jedoch“, sagte Valcarenghi, „haben wir unsere Arbeit zu tun. Der Ausflug zu den Höhlen steht auf dem Programm.“
    Ungläubig sah ich auf. „Die Höhlen? Aber ich kann nicht hingehen, nicht jetzt, nicht allein.“
    Er gab einen irritierten Seufzer von sich, einen gekünstelten Seufzer. „Oh, kommen Sie, Robb. Das ist kein Weltuntergang. Lya wird wohlbehalten zurückkommen. Sie schien mir ein ganz vernünftiges Mädchen zu sein, und ich bin sicher, sie kann auf sich selbst aufpassen, nicht wahr?“
    Ich nickte.
    „Inzwischen werden wir uns die Höhlen ansehen. Ich will dieser Sache nach wie vor auf den Grund gehen.“
    „Es hat keinen Sinn“, protestierte ich. „Nicht ohne Lya. Sie ist das stärkste Talent. Ich … ich lese nur Emotionen. Ich komme nicht so tief hinunter wie sie. Ich nütze Ihnen

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