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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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jetzt beschäftigt, angespannt und verschwitzt: Die Mannschaft schälte ganze Felsbrocken von der aufgebrochenen Wand. Die natürliche Schichtung des Gesteins verlief vertikal, was die Arbeit beschleunigte. Einen Riß finden – eine Spitzhacke hineinzwängen – sich zurücklehnen und ziehen – und mit einem Knacken löst sich ein Felsbrocken. Dann einen neuen Riß finden – und das Ganze beginnt von vorn.
    Kabaraijian sah bewegungslos zu, wie die Wand herunterkam und sich der Haufen von grünem Gestein um die Füße seiner toten Männer ansammelte. Nur seine Augen bewegten sich, die Blicke zuckten ruhelos über den Fels hin und her, achteten auf Wirbelsteine, fanden jedoch nichts. Schließlich zog er die Leichen zurück und trat selbst vor die Wand hin. Er berührte sie, strich über das Gestein und runzelte die Stirn. Die Mannschaft hatte eine ganze Felsschicht heruntergerissen – und war leer ausgegangen.
    Aber das war kaum ungewöhnlich, sogar in der allerergiebigsten Höhle. Kabaraijian ging zum Rand des Sands zurück und schickte seine Mannschaft wieder an die Arbeit. Sie hoben Vibro-Bohrer auf und nahmen die Wand erneut in Angriff.
    Unvermittelt war er sich Cochrans bewußt, der neben ihm stand und etwas sagte. Er konnte es kaum wahrnehmen. Es ist nicht leicht, genau aufzupassen, wenn man drei tote Männer leitet. Ein Teil seines Geistes löste sich und begann, zuzuhören.
    Cochran wiederholte, was er gesagt hatte. Er wußte, daß ein Führer bei der Arbeit beim erstenmal wahrscheinlich nicht hörte, was er sagte. „Matt“, sagte er, „hör zu. Ich glaube, ich habe etwas gehört. Schwach, aber ich habe es gehört. Es hat sich nach einer Barkasse angehört.“
    Das war ernst. Kabaraijian riß seinen Geist von den toten Männern los und drehte sich um, schenkte Cochran seine volle Aufmerksamkeit. Die drei Vibro-Bohrer verstummten einer nach dem anderen, und plötzlich hallte das leise Klatschen von Wasser auf Sand laut um sie her.
    „Eine Barkasse?“
    Cochran nickte.
    „Bist du sicher?“ fragte Kabaraijian.
    „Äh … nein“, sagte Cochran. „Aber ich glaube , ich habe etwas gehört. Dasselbe wie vorher, als wir durch die Höhlen gekommen sind.“
    „Ich weiß nicht“, sagte Kabaraijian; er schüttelte den Kopf. „Halte das für ziemlich unwahrscheinlich, Ed. Warum sollte uns jemand folgen? Die Wirbelsteine sind überall, wenn man sich nur die Mühe macht nachzusehen.“
    „Ja“, sagte Cochran. „Aber ich habe etwas gehört, und ich dachte, ich sollte es dir sagen.“
    Kabaraijian nickte. „Schon gut“, meinte er. „Nimm an, du hast es mir gesagt. Wenn jemand auftaucht, stecke ich einen Wandabschnitt ab und lasse ihn daran arbeiten.“
    „Ja“, sagte Cochran wieder. Aber irgendwie sah er nicht zufrieden aus. Seine Blicke sprangen weiterhin lebhaft hin und her. Er wirbelte herum und ging über den Sand zurück zu dem Wandabschnitt, vor dem erstarrt seine eigenen Leichen standen.
    Kabaraijian wandte sich dem Fels zu, seine Mannschaft erwachte wieder zum Leben. Die Bohrer fingen an zu summen, und erneut breiteten sich die Risse aus. Dann, als die Risse groß genug waren, ersetzten Spitzhacken Bohrer, und eine weitere Gesteinsschicht kam herunter.
    Aber dieses Mal war etwas dahinter.
    Die Leichen standen knöcheltief in Gesteinssplittern; Kabaraijian sah ihn: einen faustgroßen grauen Brocken, eingebettet in das Grün. Er versteifte sich bei dessen Anblick, und die Leichen erstarrten mitten in der Bewegung. Kabaraijian ging um sie herum und betrachtete den Wirbelsteinknoten.
    Er war eine Schönheit; doppelt so groß wie der größte Stein, den er jemals mitgebracht hatte. Selbst beschädigt wäre er noch ein Vermögen wert. Aber wenn er in heil herausstemmen konnte, würde sein Schätzwert einen Rekord darstellen. Dessen war er sicher. Sie würden ihn wie einen Stein schneiden. Er konnte ihn fast vor sich sehen. Ein Ei aus kristallinem Nebel, rauchig und rätselhaft dort, wo treibende Nebelschleier halb sichtbare Farben verhüllten.
    Kabaraijian dachte darüber nach und lächelte. Er berührte den Knoten leicht und drehte sich um, wollte Cochran rufen.
    Das rettet ihm das Leben.
    Die Spitzhacke durchschnitt an der Stelle die Luft, an der soeben noch sein Schädel gewesen war; mit fürchterlicher Wucht krachte sie gegen die Wand und verfehlte den Wirbelsteinknoten nur knapp. Funken und Gesteinssplitter flogen davon. Kabaraijian stand wie erstarrt. Die Leiche zog die Spitzhacke für einen

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