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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Befehle an die Leiche von den Befehlen an seine eigenen Muskeln getrennt halten. Das war für die meisten noch ziemlich leicht, aber diese Aufgabe wurde zunehmend komplizierter, je größer die Mannschaft wurde. Der Rekord für einen einzelnen Führer waren sechsundzwanzig Leichen; aber alles, was er mit ihnen angestellt hat, war, sie im Gleichschritt marschieren zu lassen. Wenn die toten Männer nicht alle dasselbe taten, wurde die Arbeit des Leichenführers um ein Vielfaches schwieriger.
    Kabaraijian hatte eine Dreier-Mannschaft; ausnahmslos bestes Fleisch, Leichen in gutem Zustand. Es waren große Männer gewesen, und groß waren sie noch immer; Kabaraijian zahlte Prämien für die Mahlzeiten, um sein Eigentum in gutem Zustand zu erhalten. Einer von ihnen hatte dunkles Haar und eine Narbe auf der einen Wange, ein anderer war blond und jung, mit Sommersprossen, der dritte hatte mausgrau-braune Locken. Darüber hinaus waren sie austauschbar – alle etwa von derselben Größe, demselben Gewicht und Körperbau. Leichen haben keine Persönlichkeit. Die verlieren sie mit ihrem Verstand.
    Cochrans Mannschaft, die in Erfüllung seiner Arbeitsbefehle auf den Sand herauskletterte, war weniger eindrucksvoll. Sie waren nur zu zweit, und keiner von ihnen war ein erstklassiges Exemplar. Der erste Leichnam war recht stämmig, mit breiten Schultern und sich kräuselnden Muskeln. Aber seine Beine waren wie verdrehte Streichhölzer, und er stolperte oft und ging noch langsamer als selbst ein durchschnittlicher Leichnam. Der zweite tote Mann war strohdürr, kahlköpfig und muskelschwundig. Beide waren schmutzig. Cochran hielt nichts davon, sich um seine Mannschaft zu kümmern, wie Kabaraijian das tat. Es war eine schlechte Angewohnheit. Cochran hatte als bezahlter Führer angefangen, hatte die Leichen von jemand anderem bedient; Instandhaltung war nicht in seinen Zuständigkeitsbereich gefallen, also auch nicht seine Sorge gewesen.
    Jeder von der Kabaraijian-Mannschaft bückte sich und hob von dem Gerätehaufen auf dem Sand einen Vibro-Bohrer auf. Dann schritten sie parallel zueinander auf die Höhlenwand zu. Die Bohrer trieben summende Löcher in den porösen Fels, und von jedem Bohrloch aus verzweigte sich ein Netz dünner Risse und wuchs.
    Die Leichen bohrten synchron, bis jeder Bohrer bis fast an den Griff versenkt war und die Risse fingerbreit geworden waren. Dann zogen sie – fast wie ein einziger Mann – die Bohrer heraus und legten sie ab. Sie ergriffen die Spitzhacken. Die Arbeit ging jetzt langsamer voran. Riß um Riß griffen die Leichen die Wand an, um mühselig eine ganze Schicht grünlichen Gesteins abzuschälen. Sie schwangen die Spitzhacken vorsichtig, aber mit knochenerschütternder Kraft, unermüdlich, ununterbrochen. Schmerzunfähig geworden, konnten ihre Knochen die Stöße kaum wahrnehmen.
    Die toten Männer machten die ganze Arbeit. Kabaraijian stand dahinter, eine schmächtige, dunkle Statue im Sand, mit Händen in die Hüften gestemmt, die Augen verschleiert. Er tat nichts anderes als zuzusehen. Aber er machte alles. Kabaraijian war die Leichen, die Leichen waren Kabaraijian. Er war ein Mann in vier Körpern, und es war seine Hand, die jeden Schlag führte, obwohl sie kein Werkzeug berührte.
    Vierzig Fuß entfernt in der Höhle, hatten Cochran und seine Mannschaft ausgeladen und sich an die Arbeit gemacht. Aber Kabaraijian war sich ihrer kaum bewußt, obwohl er das Summen ihrer Vibro-Bohrer und das Hämmern ihrer Spitzhacken hören konnte. Sein Verstand war bei seinen Leichen, die das Gestein von der Wand brachen, war aufmerksam auf das verräterische gräuliche Glitzern eines Wirbelsteinknotens konzentriert. Es war erschöpfende Arbeit; anspruchsvolle Arbeit, angespannt und hektisch. Es war eine Arbeit, die nur von wirklich leistungsfähigen Leichenmannschaften getan werden konnte.
    Man hatte es vor ein paar kurzen Jahren mit anderen Methoden versucht, damals, als die Menschen Grotto und seine Höhlen entdeckt hatten. Die ersten Siedler mit Abbaufräsen, traktorartigen Felsenfressern, die Berge zerkauen konnten. Das Problem dabei war: Sie zerkauten auch die zerbrechlichen, tief vergrabenen Wirbelsteine, die oft unerkannt blieben, bis es zu spät war. Die Gesellschaft fand heraus, daß eine behutsame Arbeit von Hand die einzige Möglichkeit war, keine übermäßige Anzahl von Steinen zu zersplittern oder zermalmen. Und Leichenhände waren die billigsten Hände, die man kaufen konnte.
    Diese Hände waren

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