Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
Vom Netzwerk:
sagte er. Er schaltete seine Taschenlampe aus, und die Wände schienen näher heranzurücken. „Sie müssen empfindlich sein. Wir tun ihm weh. Nimm deinen Lichtstrahl weg, von der Stadt.“
    Von der Stadt warf ihm einen zweifelnden Seitenblick zu. „Es ist schon dunkel genug hier unten“, sagte er. Aber er gehorchte. Sein Lichtstrahl schwenkte weg.
    „Geschichte“, sagte Ciffonetto. „Dieser Augenblick lebt in …“
    Er vollendete den Satz nie. Von der Stadt war verkrampft, sein Finger lag auf dem Abzug. Als sein Lichtstrahl von der Gestalt im Hintergrund des Tunnels wegschwenkte, erwischte er ein anderes Bewegungszucken in der Dunkelheit. Er schwenkte hin und her, fand das Etwas wieder, nagelte es mit seinem Lichtstrahl auf den Schienen fest.
    Beinahe hätte er vorhin geschossen. Aber er hatte gezögert, weil die menschenähnliche Gestalt regungslos und ein unvertrauter Anblick gewesen war.
    Dieses neue Ding hier war nicht regungslos. Es quietschte und huschte über den Boden. Auch war es kein unvertrauter Anblick. Diesmal zögerte von der Stadt nicht.
    Da war ein Aufbrüllen, ein Blitz. Dann einen Sekundenbruchteil lang Stille.
    „Erwischt“, sagte von der Stadt. „Eine verdammte Ratte.“
     
    Und Greel schrie.
    Nach dem langen Brennen hatte es einen Augenblick der Erleichterung gegeben. Aber nur einen winzigen Augenblick. Dann durchflutete ihn plötzlich Schmerz. Welle um Welle um Welle. Überrollte ihn, überlagerte die Gedanken der Feuermenschen, überlagerte ihre Angst, überlagerte seinen Zorn.
    H’ssig starb. Sein Geistbruder starb.
    Die Feuermenschen hatten seinen Geistbruder umgebracht.
    Er kreischte vor Verzweiflung. Er stürmte nach vorn, riß seinen Speer hoch.
    Er öffnete seine Augen. Es gab ein Aufblitzen von Sicht, dann noch mehr Schmerz und Blindheit. Aber der Blitz reichte. Er stieß zu. Und stieß wieder zu. Wild, wie wahnsinnig, ein Stoß nach dem anderen, Hieb um Hieb.
    Dann wurde das Universum wieder rot vor Schmerz, und dann erklang das entsetzliche Brüllen, das gekommen war, als H’ssig starb. Etwas schleuderte ihn auf den Tunnelboden zurück, und seine Augen öffneten sich wieder, und Feuer, Feuer war überall.
    Aber nur für eine Weile. Nur für eine Weile. Dann, kurz darauf, gab es wieder Dunkelheit für Greel vom Volk.
     
    Die Pistole rauchte noch. Die Hand war noch im Anschlag erstarrt. Aber von der Stadts Mund klaffte weit offen; ungläubig starrte er von dem Ding, das er in den Tunnel zurückgeschmettert hatte, auf das Blut, das über seine Uniform tropfte, dann wieder zurück.
    Dann entfiel ihm die Pistole, und er preßte den Bauch zusammen, preßte seine Wunden zusammen. Seine Hand löste sich, naß von Blut. Er starrte sie an. Starrte dann Ciffonetto an.
    „Die Ratte“, sagte er. Schmerz loderte in seiner Stimme. „Ich habe nur eine Ratte erschossen. Sie ist auf ihn losgegangen. Warum, Ciff? Ich …“
    Und er fiel. Schwer. Seine Taschenlampe zersprang – es wurde dunkel.
    Es folgte ein langes Tasten in der Dunkelheit.
    Dann blinkte endlich Ciffonettos Licht auf, und der aschfahle Wissenschaftler kniete neben seinem Begleiter.
    „Von“, sagte er und zupfte an der Uniform. „Alles in Ordnung mit dir?“ Er riß den Stoff auf, legte das zerfetzte Fleisch frei.
    Von der Stadt murmelte: „Ich habe ihn nicht einmal kommen sehen. Ich hab’ mein Licht weggenommen, wie du gesagt hast, Ciff. Warum? Ich wollte ihn nicht erschießen. Nicht wenn er ein Mensch war. Ich habe nur eine Ratte erschossen. Nur eine Ratte. Sie ist auch auf ihn losgegangen.“
    Ciffonetto, der wie gelähmt dagestanden war, während es passiert war, nickte. „Es war nicht dein Fehler, Von. Aber du mußt ihn erschreckt haben. Aber jetzt brauchst du ärztliche Behandlung. Er hat dich schlimm verletzt. Schaffst du es bis zurück zum Lager?“
    Er wartete die Antwort nicht ab. Er schob seinen Arm unter den von der Stadts, und zerrte ihn auf die Füße und schleppte ihn mit sich den Tunnel entlang; er betete darum, daß sie es bis zur Plattform zurück schafften.
    „Ich habe nur eine Ratte erschossen“, sagte von der Stadt weiterhin, immer wieder, mit benommener Stimme.
    „Mach dir keine Sorgen“, sagte Ciffonetto. „Es spielt keine Rolle. Wir werden andere finden. Wir werden das ganze U-Bahn-System durchsuchen, wenn es sein muß. Wir werden sie finden.“
    „Nur eine Ratte. Nur eine Ratte.“
    Sie erreichten die Plattform. Ciffonetto ließ von der Stadt wieder auf den Boden hinuntersinken.

Weitere Kostenlose Bücher