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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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„Ich schaffe die Kletterei nicht, wenn ich dich trage, Von“, sagte er. „Ich muß dich hier zurücklassen. Hilfe holen.“ Er richtete sich auf, hängte die Lampe an seinen Gürtel.
    „Nur eine Ratte“, sagte von der Stadt wieder.
    „Mach dir keine Sorgen“, sagte Ciffonetto. „Selbst wenn wir sie nicht finden, ist nichts verloren. Sie waren eindeutig nichtmenschlich. Früher Menschen, vielleicht. Aber jetzt nicht mehr. Degeneriert. Es gibt jedenfalls nichts, was sie uns hätten lehren können.“
    Aber von der Stadt hörte nicht mehr zu, hörte überhaupt nicht mehr. Er lehnte nur an der Wand, hielt seinen Bauch und fühlte das Blut zwischen den Fingern hindurchsickern; immer wieder murmelte er dieselben Worte.
    Ciffonetto wandte sich der Wand zu. Einige wenige Fuß zur Plattform hoch, dann die alte, rostige Rolltreppe und die Kellerruinen, und – Tageslicht. Er mußte sich beeilen. Von der Stadt würde nicht mehr lange durchhalten.
    Er klammerte sich an dem Gestein fest, zog sich hoch, hielt sich verzweifelt fest, während seine andere Hand herumtastete und einen Halt suchte. Er zog sich wieder hoch.
    Er war fast oben, fast auf gleicher Höhe mit der Plattform, als seine schwachen lunaren Muskeln den Dienst versagten. Er fühlte einen plötzlichen Krampf, die Hand rutschte ab, die andere Hand konnte das Gewicht nicht halten.
    Er fiel. Auf die Taschenlampe.
    Diese Dunkelheit war mit nichts, was er je gesehen hatte, zu vergleichen. Zu dicht, zu vollkommen. Er bemühte sich, nicht zu schreien.
    Als er versuchte, wieder aufzustehen, schrie er wirklich. Bei dem Sturz war mehr gebrochen als nur die Taschenlampe.
    Sein Schrei hallte wider und wider, hallte durch den langen, schwarzen Tunnel, den er nicht sehen konnte. Es dauerte lange, bis er verklang. Als er endlich verstummte, schrie er wieder. Und noch einmal.
    Schließlich, heiser, hörte er auf. „Von“, sagte er. „Von, kannst du mich hören?“ Es kam keine Antwort. Er versuchte es wieder. Reden, er mußte reden, um sich seinen Verstand zu bewahren. Die Dunkelheit war rings um ihn her, und fast konnte er ein paar Fuß entfernt – leise Bewegungen hören.
    Von der Stadt kicherte, seine Stimme klang unendlich weit entfernt.
    „Es war nur eine Ratte“, sagte er. „Nur eine Ratte.“
    Stille. Dann leise Ciffonetto: „Ja, Von, ja.“
    „Es war nur eine Ratte.“
    „Es war nur eine Ratte.“
    „Es war nur eine Ratte.“
     
    Washington, D.C.
    Mai 1971
     

 
Der Held
THE HERO
     
    Die Stadt war tot, und die Flammen ihres Dahinscheidens breiteten einen roten Fleck über den grüngrauen Himmel aus.
    Es war eine lange Zeit des Sterbens gewesen. Der Widerstand hatte fast eine Woche lang angehalten, und das Kämpfen war eine Zeitlang bitter gewesen. Aber am Ende hatten die Invasoren die Verteidiger zerbrochen, wie sie so viele andere in der Vergangenheit zerbrochen hatten. Der fremde Himmel mit seiner Doppelsonne machte ihnen nichts aus. Sie hatten unter Himmeln von azurenem Blau und tintigem Schwarz gekämpft und gesiegt.
    Die Jungs von der Wetterkontrolle hatten zuerst zugeschlagen, während die Hauptstreitmacht noch Hunderte von Meilen im Osten stand. Ein Sturm nach dem anderen hatte die Straßen der Stadt gepeitscht, um die Verteidigungsvorbereitungen zu verlangsamen und den Widerstandsgeist zu zerschmettern.
    Als sie näher heran waren, hatten die Eroberer Heuler hochgeschickt. Endloses schrilles Kreischen hatte sowohl Tag als auch Nacht hin und her gehallt, und bald war der größte Teil der Bevölkerung in demoralisierter Panik geflohen. Mittlerweile war der Haupttroß in Reichweite und feuerte Pestbomben ab, die von einem ständigen Ostwind nach Westen geschleudert wurden.
    Trotzdem hatten die Eingeborenen noch versucht, zurückzuschlagen. Aus ihren Abwehrstellungen, die die Stadt umringten, hatten die Überlebenden einen Atombomben-Hagel hochgejagt und es geschafft, eine ganze Kompanie zu verdampfen – die Abwehrschirme waren durch den plötzlichen Ansturm überlastet gewesen. Aber diese Geste war bestenfalls eine ziemlich schwache. Inzwischen regneten unablässig Brandbomben auf die Stadt herunter und große Wolken von Säuregas wehten über die Ebenen.
    Und hinter dem Gas kamen die gefürchteten Sturmtruppen der Terranischen Expeditionskorps und stürmten die letzten Verteidigungsanlagen.
     
    Kagen starrte finster auf den zerbeulten Plastoid-Helm zu seinen Füßen und verfluchte sein Pech. Ein Routine-Säuberungsauftrag, dachte er. Eine

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