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Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)

Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)

Titel: Die zweite Tochter: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Scott
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Und so war aus Jill auch nicht Williams angebetete Ehefrau geworden, sondern sein Fußabtreter. Jill war froh, dass ihre Mutter das nicht mehr miterleben musste. Sie starb bald darauf. Es hätte ihr das Herz gebrochen.
    Jill starrte ihren Laptop an und öffnete dann die Datei mit ihren Fotos. Vor allem die älteren interessierten sie. Da war ein Foto von Abby. Sie stand auf der Eingangstreppe eines Hauses in einer anderen Stadt und in einer anderen Zeit. Sie hatte gerade ihre Zahnspange neu eingestellt bekommen, andere Kinder hätten vielleicht gejammert, aber Abby machte das Beste daraus. Damals war sie dreizehn gewesen, so alt wie Megan heute – und ein schrecklicher Wildfang. Ihr Haar wurde von einem Haarband nur schlampig zusammengehalten, das Schwimmtrikot, das sie auf dem Bild trägt, weist sie als Teammitglied der Strafford Strokers aus.
    Jill hatte ihr das Schwimmen beigebracht und sie später ermuntert, in den Schwimmverein einzutreten. Abby hatte sich Jill bedingungslos geöffnet, sie brauchte eine Mutter wie die Blumen die Sonne und war bereit, alles von ihr an zunehmen. Victoria war zuerst reservierter gewesen, ihr Vertrauen gewann Jill später während langer schweigsamer Autofahrten und Besuchen von Schulaufführungen, in denen das Mädchen mitspielte. Jill hatte alle Karten aufgehoben, die die Mädchen ihr geschrieben hatten. Die schönste bekam sie am Muttertag in dem Jahr, nachdem William und sie geheiratet hatten. Der Briefumschlag war mit einem pinken Band verziert, das Victoria ausgesucht hatte. Den Text hatte sie in Schönschrift geschrieben:
    Nun ist es offiziell. Du bist jetzt unsere Mutter.
    Ein bittersüßer Schmerz durchzog ihre Brust. Wie schwer war es gewesen, ihre Mutter zu werden – und jetzt? Sicher, es gab kein festeres Band als das zwischen Mutter und Kind, und sie fühlte sich weder als ehemalige Mutter, noch waren die Mädchen ihre ehemaligen Kinder. Familien lösten sich nie voll und ganz auf, so wie sie nach einer Trennung auch nie mehr voll und ganz zusammenfanden. Immer blieb eine Menge Schutt am Wegrand liegen, Schutt, der von Menschen produziert worden war. Manchmal – so wie heute Abend – hatte Jill das Gefühl, ständig über die herumliegenden Körper und Schutt zu stolpern.
    Jill klickte auf eine Taste des Keyboards, und das nächste Foto erschien. Auf ihm hatte sich Megan mit ins Bild geschlichen. Sie war damals acht Jahre alt, sie und Abby waren Freundinnen geworden. Man hätte Megan für Abbys kleine leibliche Schwester halten können. Auch sie hatte große braune Augen und dunkelblondes Haar, das ebenfalls von einem Haarband zusammengehalten wurde.
    Megan war ein Jahr alt gewesen, als William in ihr Leben trat, und zehn, als er es wieder verließ. Weder hatte er sich in seine neue Tochter vernarrt noch sich besonders fürsorglich um sie gekümmert. Das Versprechen, das er ihr an jenem Tag am Strand wortlos gegeben hatte, war nie eingelöst worden. Immerhin war er für die Kleine da, mehr Vaterfigur als wirklicher Vater, was Kindern manchmal ja sogar genügte. Jill erinnerte sich. Einmal hatten sie Kürbisse geerntet, ein andermal einen Freizeitpark besucht. In der Achterbahn hatten sie vor Freude geschrien. Auf den ersten Blick wirkte alles wie trautes Familienglück, doch man brauchte kein Mikroskop, um zu sehen, wie es wirklich gewesen war. Jill amüsierte sich mit den Mädchen, William telefonierte oder beklagte sich über zu lange Warteschlangen und die lauwarmen Pommes frites. Manchmal kapselte er sich vom Rest der Familie ab, war ganz in Gedanken versunken.
    Jill ließ sich die Fotos als Diashow anzeigen, und Bilder von Schwimmwettbewerben, Meerschweinchen und Besuchen bei McDonald’s zogen an ihr vorbei. Nach der Scheidung gab es nur noch Fotos von Megan und ihr, von fünf Familienmitgliedern waren nur noch zwei übrig geblieben. Dann hatte Jill Sam kennengelernt, das positive Gegenteil von William. Mit der Zeit war eine neue Familie entstanden, der zweite Stiefvater war in die Fußstapfen des ersten getreten, der wiederum zuvor in die Fußstapfen des verstorbenen leiblichen Vaters von Megan getreten war.
    Jill stoppte die Diashow. Das Bild zeigte Sam, Megan und Steven, der wie die jüngere Version seines Vaters aussah. Wie dieser war er groß, schlank und intelligent. Steven würde Abby und Victoria nie ersetzen können. Jeder Mensch war einzigartig. Kein Loch würde je vollständig gestopft, keine Lücke je vollkommen geschlossen werden können. Und ob

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