Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Hand, sie war geschockt. Noch nie hatte sie Victoria so wütend gesehen. Dabei hatten sie sich einmal so nahegestanden. »Hör mir zu.«
»Nein, du hörst mir jetzt zu!« Victorias helle Haut rötete sich, als sie sich in Rage redete. »Du hast Dad nicht geliebt. Und du hast uns nicht geliebt. Du hast uns einfach hinausgeworfen.«
»Nein, das ist nicht wahr.« Jill war zutiefst gekränkt, sie wich zurück. Ihr Mund war trocken, ihr Gesicht glühte, als würde es in Flammen stehen. Die Leute begannen zu tuscheln. Keine Minute länger wollte sie hierbleiben. Der Pfarrer fasste Victoria am Arm, aber sie stieß ihn von sich.
»Und jetzt, Jill, werfe ich dich hinaus. Hau ab und verschwinde!« Victoria deutete zur Tür, doch Jill hatte Megan bereits ein Zeichen gegeben. Die beiden flohen aus der Kirche, Megan voran, ihre Schuhe klackten auf dem alten Dielenfußboden.
»Jill, nein!« Abby setzte ihnen nach.
»Megan, warte!«, rief Jill, aber die stieß schon die Glastür auf und rannte auf den Kirchhof, wo sie weinend stehen blieb. Es hatte wieder begonnen zu regnen.
»Mom, was habe ich getan? Was hast du getan?«
»Nichts, mein Schatz.« Jill drückte Megan fest an sich.
»Wie schrecklich.« Abby stürzte auf die beiden zu. »Es tut mir so leid.«
»Was ist hier los, Abby?«
»Es war mein Fehler. Ich hab’s vermasselt. Ich habe Victoria nichts von eurem Auftauchen gesagt. Aber wie konnte ich denn ahnen, dass sie vor allen Leuten so durchdreht.« Abby schluchzte. Megan stand neben ihr und rieb sich die Augen. »Dad hat behauptet, du hättest ihn betrogen. Du hättest einen anderen Mann kennengelernt und deshalb die Scheidung gewollt.«
»Wie bitte?«, platzte Megan heraus.
»Aber das stimmt nicht.« Jill streckte ihren Rücken durch. »Abby, geh wieder in die Kirche. Dies hier ist weder die Zeit noch der Ort …«
»Hat er etwa gelogen?«, unterbrach Abby sie und wischte sich die Tränen ab. Ihr Gesicht war voller verschmierter Wimperntusche. »Oder hast du Dad doch betrogen?«
»Meine Mom würde so etwas nie tun«, mischte sich Megan ein. »Sie hat damals jede Nacht geweint. Ich habe sie gehört. Wahrscheinlicher ist doch, dass er sie betrogen hat.«
»Nein, hat er nicht«, erwiderte Abby.
»Doch!« Megans Stimme wurde lauter, ihre Halsadern traten hervor.
»Hört auf zu streiten.« Jill beruhigte die beiden. »Abby, wir gehen jetzt. Und du geh wieder hinein und pass auf dich auf. Mach’s gut.«
»Nein, bleibt doch.« Abby fasste Jill am Arm. »Kannst du nach der Feier nicht trotzdem zu uns rüberkommen? Ich hatte dich doch darum gebeten. Irgendjemand hat Dad ermordet, und wir müssen den Täter finden.«
»Nein, Abby.« Jill schob den Arm ihrer ehemaligen Stieftochter weg.
»Mom, ist William wirklich ermordet worden?«, fragte Megan mit schwacher Stimme.
»Nein«, antwortete Jill bestimmt und nahm sie bei der Hand. Sie sah, wie Victoria durch die Glastür auf sie zukam. »Gehen wir.«
»Er ist ermordet worden, Megan!«, rief Abby, während Victoria die Tür öffnete, gefolgt vom Pfarrer. »Jemand hat ihn umgebracht. Ich weiß es. Jill, du musst mir helfen, bitte! Ich brauche dich!«
Doch Jill ging weiter. Eine weinende Tochter an ihrer Seite, eine andere ließ sie zurück.
10
Megans Augen waren noch verquollen und rot, aber sie weinte nicht mehr. Sie saß mit Jill an einem Tisch in einem kleinen ruhigen Restaurant in der Nähe der Kirche. »Alles in Ordnung?«, fragte Jill besorgt.
»Ja.« Megan trank einen Schluck Wasser. Sie war niedergeschlagen. »Victoria war so wütend. Ich wollte das nicht.«
»Stopp. Das alles war nicht deine Schuld. Victoria hatte uns einfach nicht erwartet. Und dass sie derzeit etwas überempfindlich ist, ist doch klar.«
»Und was ist mit Abby? Sie behauptet, dass William ermordet worden ist.« Megans braune Augen weiteten sich. »Stimmt das?«
»Nein.« Jill schüttelte den Kopf. »Aber wenn Menschen trauern, kommen sie manchmal auf die seltsamsten Ideen. Abby steht im Moment so neben sich, dass sie nicht klar denken kann. Genauso wie Victoria.«
Megan zog die Nase hoch. »Du hast William nicht betrogen?«
»Nein.«
»Du bist immer so ehrlich, ich weiß.« Megan schenkte ihrer Mutter ein wehmütiges Lächeln. »Selbst bei Entschuldigungen für die Schule hast du nie mich mit deinem Namen unterschreiben lassen.«
Jill lächelte.
»Hat er dich betrogen?«
Jill seufzte innerlich auf. Ein paar Touristen erhoben sich vom Nebentisch. »Müssen wir jetzt unbedingt
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