Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
einen Parkplatz, aber als Jill einbiegen wollte, bemerkte sie etwas im Rückspiegel.
Sieh mal, Mom, da fährt ein Auto mit nur einem Scheinwerfer.
Zwei Wagen hinter sich entdeckte sie einen schwarzen SUV , dessen linker Scheinwerfer nicht brannte. Auch der wuchtige Kühlergrill kam ihr bekannt vor, aber vielleicht war es auch nur ein Zufall. Sie sah in den Außenspiegel, auf dem sich Regentropfen sammelten.
Jills Mund wurde trocken, sie trat aufs Gas, fuhr an der Apotheke vorbei und bog rechts in eine schmale dunkle Seitenstraße ein. Die heruntergekommenen Reihenhäuser konnte man nur erahnen, Platz zum Parken gab es hier zuhauf. Sie fuhr an den Straßenrand, schaltete den Motor aus und rutschte im Sitz hinunter. Ob der SUV ihr folgen würde?
Ihr Herz begann heftig zu schlagen. Sie hatte Angst. Wie albern! Ihre Augen blieben stur auf den Außenspiegel gerichtet. Ein paar Minuten später tauchte der schwarze SUV tatsächlich auf – und raste an ihr vorbei. Den Fahrer konnte sie nicht erkennen, hatte aber den ersten Buchstaben des Nummernschilds lesen können, ein T.
Jill versuchte sich zu beruhigen. Nur keine voreiligen Schlüsse ziehen. Gab es einen Grund, dass jemand sie verfolgte? Nein, natürlich nicht. Und wer war schon so blöd, jemanden mit einem Auto zu beschatten, bei dem nur ein Scheinwerfer brannte? Aber was, wenn das dem Fahrer bisher nicht aufgefallen war?
Jill fuhr zur Apotheke zurück. Bevor sie ausstieg, sah sie sich um. Kein schwarzer SUV weit und breit. Sie rannte durch den Regen, ihr war unwohl zumute.
Der hell erleuchtete Laden machte einen dreckigen Eindruck, der Boden war gefliest. Jill entdeckte sich selbst in einem Kontrollmonitor. Eine blonde Frau mit einem schreienden Baby auf dem Arm, das in eine dünne Decke eingewickelt war, stand an der Theke und unterhielt sich mit einem jungen Verkäufer mit gegeltem Haar und blasser Haut, die in dem fluoreszierenden Licht besonders hervorstach.
»Schläft er jetzt?«, fragte er die junge Mutter, die ihr Baby wiegte.
»Kann ich mit der Apothekerin sprechen?«
»Die ist nicht mehr da.«
»Dann müssen Sie mir helfen. Mein Junge zahnt. Ich habe sein Zahnfleisch schon mit Brandy eingerieben, ein Tipp meiner Tante, aber es hat nicht geholfen.«
»Gehen Sie besser zu Ihrem Doktor. Ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Aber ich habe keinen. Ich war schon bei der Notaufnahme, aber da war so viel los. Können Sie nicht einfach meine Frage beantworten?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nur Verkäufer bin.«
Jill war hin- und hergerissen. Das Baby war nicht ihr Patient, und sie war kein barmherziger Samariter. Aber ein Kind und seine Mutter so leiden lassen? »Miss, vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich bin Kinderärztin.«
»Sie sind Arzt?« Die müden blauen Augen der jungen Frau begannen zu leuchten. Am Hals entdeckte Jill ein Tattoo aus verschnörkelten Schriftzeichen. »Ich hab schon letzte Nacht kein Auge zugetan. Er weint und weint und lässt sich nicht beruhigen.«
»Darf ich mal seine Hand sehen?« Jill betrachtete das Händchen und bemerkte einen verräterischen Hautausschlag. Zudem waren auf seiner Zunge Bläschen. »Wie hat er heute gegessen?«
»Nicht besonders gut.«
»Hat er Fieber? Bestimmt.«
»Letzte Nacht hatte er 38,3. Und er fühlt sich auch jetzt noch warm an.«
»Lässt er Wasser?«
»Andauernd. Ich wechsle ständig die Windeln, denn er soll ja sauber bleiben.«
»So ist’s richtig. Zum Glück ist er nicht dehydriert. Aber ich muss Ihnen etwas sagen: Ihr Junge bekommt keine Zähne, er hat den Coxsackie-Virus.«
»Den Cox-was?« Die Mutter sah Jill mit großen Augen an.
»Das ist ein Virus, der bei Kleinkindern die sogenannte Hand-Fuß-Mund-Krankheit auslöst. In zehn Tagen sollte alles wieder vorbei sein, aber geben Sie ihm bitte keinen Brandy mehr. Besser Tylenol. Wie alt ist er? Acht Monate?«
»Genau.«
»Und wie viel wiegt er?« Der Kleine war so gut eingepackt, dass Jill sein Gewicht nicht erraten konnte.
»Neun Kilo.«
»Dann geben Sie ihm Tylenol speziell für Kleinkinder. Am besten mit der Pipette, die in der Packung liegt.«
»Aber ich habe kein Geld.« Die junge Frau sah auf den Boden.
»Dann zahle ich das Fläschchen, einverstanden?« Jill nahm einen Zehndollarschein aus ihrer Brieftasche und gab ihn dem Angestellten. »Das ist für das Tylenol.«
»Vielen, vielen Dank, Ma’am.« Die junge Frau lächelte.
»Gern geschehen. Der Kleine ist bald wieder gesund.«
»Nochmals vielen Dank.« Die
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