Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Handy. Ich sollte hinuntergehen.«
»Ich komme mit.«
»Nein, bleib hier.« Abby rannte die Treppe hinunter und ließ Jill in nachdenklicher Stimmung an Williams Bett zurück. Sie und William hatten einst in einem Messingbett geschlafen. An einem Sonntagnachmittag – kurz nach der Hochzeit, sie waren noch glücklich gewesen – lieferten sie ihre drei Töchter bei deren Freundinnen ab. Als die letzte die Wagentür zugeschlagen hatte, sahen sie sich an und machten beide gleichzeitig die gleiche Feststellung: »Ein Wunder ist geschehen!« Sie waren allein, das Haus gehörte für den Nachmittag nur ihnen.
Denkst du auch, was ich denke?, hatte William sie mit einem Grinsen gefragt.
Ich denke schon. Essen einkaufen ist gestrichen.
William gab Gas, sie rasten nach Hause, sprangen aus dem Wagen und hinein in ihr Haus. Er jagte sie die Treppe hinauf, hinein ins Schlafzimmer, hinein ins Messingbett. Lass uns ordentlich Lärm machen.
»Mist.« Abby war zurückgekommen. Ihre glasigen Augen holten Jill zurück in die Gegenwart.
»Was ist los?«
»Victoria hat angerufen. Ich kann nicht mit zu dir kommen.« Abby schluckte schwer. »Sie sagt, ich darf nicht die Seite wechseln.«
»Es gibt keine verschiedenen Seiten, nicht für mich.«
»Das weiß ich.« Abby wischte sich die Tränen fort. »Aber für Victoria ist es auch schwer. Ich will sie nicht noch mehr aufregen. Und irgendwie hat sie ja auch recht. Ich habe mich nicht besonders vernünftig verhalten.«
»Ich verstehe.« Jill hatte immer versucht, Victoria in ihrer Neigung, ihre kleine Schwester herumzukommandieren, zu mäßigen. Doch die Zeiten waren vorbei. »Mach, was immer du für richtig hältst.«
»Ich bleibe heute Nacht zu Hause. Aber nimm du den Laptop und den anderen Kram mit. Und wohnen bleiben werde ich hier auch. Es ist mir egal, was Victoria dazu sagt.«
»Okay.« Es behagte Jill nicht, Abby allein zu lassen, aber sie hatte keine andere Wahl. »Was hat denn dein Kühlschrank so zu bieten?«
»Mineralwasser.« Abby rang sich ein Lächeln ab. »Und Milch für Pickles.«
»Was hältst du davon, wenn ich für dich einkaufen fahre? Dann könntest du dir morgen früh wenigstens Cornflakes machen. Magst du noch immer die mit Erdbeergeschmack?«
»Das weißt du noch?« Abby strahlte über das ganze Gesicht. »Du bist eine echte Mom.«
Eine Stunde später fuhr Jill auf dem Expressway nach Hause. Vorher hatte sie für sich und Abby eingekauft und ein paar Lebensmittel bei ihr abgeliefert. Die Straße war verstopft, es regnete wieder. Zeit genug, um über ihr Smartphone E-Mails und Nachrichten ihrer Patienten abzurufen. Padma hatte sich nicht gemeldet. Jill hoffte, dass es dem kleinen Rahul wieder besser ging. Das Blutbild würde endgültig Klarheit über seinen Zustand schaffen.
So viel war in den letzten beiden Tagen passiert, Jill hatte Schwierigkeiten, alles zu verarbeiten.
Welche Frau kann Dad je vergessen?
Was für eine rhetorische Frage! Aber kein Polizist der Welt würde daraus die von Abby gewünschte Schlussfolgerung ziehen. Dazu musste man William schon gekannt haben. Endlich ging es etwas schneller voran. Broad Street ½ Meile, stand auf einem Schild an einer Überführung.
Hatte William seine Rezepte nicht in einer Apotheke in der Broad Street eingelöst? Vielleicht sollte sie vorbeifahren und fragen? Es lag schließlich auf dem Weg.
Du bist Doktor – genau wie Sherlock Holmes einer war.
Jede deduktive Beweisführung zum Finden der Wahrheit verlief gleich. Das hatte Jill Abby klarmachen wollen. Wenn sie als Ärztin eine Differentialdiagnose stellte, schloss sie nach und nach alle Diagnosen systematisch aus, die den herausgefundenen Daten widersprachen. Deshalb ließ sie auch von Rahul ein Blutbild erstellen. Wenn das normal war, wie sie hoffte, konnte sie alle schlechten Diagnosen ausschließen.
Und wenn sie zur Apotheke ging und sich herausstellte, dass mit den Rezepten alles in Ordnung gewesen war, dann konnte Abby ihre Mordtheorie endgültig begraben. Jill griff in ihre Tasche und zog den gelben Notizzettel heraus.
13
Im strömenden Regen fuhr Jill die Broad Street Richtung Norden entlang. Leer stehende Geschäfte, Märkte für Gebrauchtwagen und Geldinstitute für Immigranten säumten die einstige Prachtstraße, die die Stadt in zwei Hälften teilte. Die Straßenbeleuchtung funktionierte nur zum Teil, ganze Blocks lagen im Dunkeln. Warum sollte William in dieser Gegend Rezepte eingelöst haben? Vor der Broad-Street-Apotheke gab es
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